Einleitung: Ein radikaler Schritt im Einzelhandel
Die jüngste Ankündigung von Aldi, in einer Filiale in Greenwich, London, eine Eintrittsgebühr von 10 Pfund (ca. 12 Euro) für den Zugang zu einem kassenlosen Geschäft zu testen, hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Dieses als „Shop & Go“ bekannte Modell verspricht, den Einkauf durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und automatisierten Zahlungssystemen zu revolutionieren. Doch was auf den ersten Blick wie ein Schritt in die Zukunft des Einzelhandels aussieht, wirft ernsthafte Fragen zur Zugänglichkeit, Technologieakzeptanz und sozialen Gerechtigkeit auf.
Als Expertin für Einzelhandelsinnovationen betrachte ich diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen: Einerseits bewundere ich den Mut zur Innovation, andererseits bezweifle ich, ob solche Modelle flächendeckend funktionieren können – insbesondere angesichts der technischen Probleme und öffentlichen Kritik, die bereits nach kurzer Testphase aufgetaucht sind. In diesem Beitrag analysiere ich die Implikationen von Aldis Pilotprojekt, untersuche die Vor- und Nachteile und stelle die brennende Frage: Ist dies wirklich die Zukunft des Einzelhandels oder ein Schuss in den Ofen?
Was steckt hinter Aldis „Shop & Go“-Modell?
Das Konzept: Bezahlen vor dem Einkauf
Aldis kassenloses Geschäft in Greenwich funktioniert nach einem Prinzip, das zunächst ungewöhnlich erscheint: Kunden müssen vor Betreten des Ladens eine Vorauszahlung von 10 Pfund leisten. Dieser Betrag dient als Kaution und wird nach dem Einkauf mit dem tatsächlichen Kaufbetrag verrechnet. Wenn der Einkauf weniger als 10 Pfund kostet oder der Kunde nichts kauft, wird der Differenzbetrag zurückerstattet. Die Rückerstattung kann jedoch je nach Bankinstitut bis zu 48 Stunden dauern .
Die Technologie: KI-gesteuerte Überwachung
Das System relies on künstliche Intelligenz und ein Netzwerk von Kameras und Sensoren, die jede Bewegung der Kunden verfolgen. Die KI erkennt, welche Produkte aus den Regalen genommen und wieder zurückgelegt werden, und berechnet automatisch den fälligen Betrag, wenn der Kunde den Laden verlässt. Aldi betont, dass die Technologie in der Lage ist, zwischen tatsächlichen Käufen und bloßem Anschauen von Produkten zu unterscheiden .
Der Zweck: Effizienz und Diebstahlprävention
Laut Aldi dient die Vorauszahlung dazu, die Zahlungsfähigkeit der Kunden zu überprüfen und Diebstähle zu reduzieren. Gleichzeitig soll das Modell lange Schlangen an den Kassen vermeiden und ein nahtloses Einkaufserlebnis bieten .

Tabelle: Funktionsweise des Aldi „Shop & Go“-Modells
Schritt | Beschreibung | Zahlungsabwicklung |
---|---|---|
Registrierung | Kunden scannen einen QR-Code aus der Aldi-App oder legen eine Kreditkarte an einem Terminal vor. | Eine Kaution von 10 Pfund wird reserviert. |
Einkauf | KI-gesteuerte Kameras verfolgen die aus den Regalen genommenen Artikel. | Keine Zahlung während des Einkaufs. |
Verlassen des Ladens | Kunden verlassen den Laden ohne physische Kasse. | Der Gesamtbetrag wird von der Kaution abgezogen; überschüssiges Geld wird zurückerstattet. |
Die Kontroverse: Kritik und technische Mängel
Probleme mit der Rückerstattung
Einer der Hauptpunkte der Kritik betrifft die Rückerstattungspraxis. Kunden, die weniger als 10 Pfund ausgeben oder nichts kaufen, müssen oft tagelang auf die Rückerstattung warten, da der Prozess von ihren Bankinstituten abhängt . Dies führt zu Frustration, insbesondere bei those who regularly make small purchases.
Mehrfachbelastungen und technische Fehler
Ein weiteres gravierendes Problem sind Mehrfachbelastungen. Wenn Kunden versehentlich die App-Taste mehrmals drücken oder den QR-Code wiederholt scannen, wird die Kaution mehrfach abgebucht. Aldi hat zwar im Mai 2025 die Vorauszahlung über die App deaktiviert, aber ähnliche Probleme bestehen bei der Nutzung von Kreditkarten weiterhin .
Unklare Kommunikation
Kunden haben auch moniert, dass die Höhe der Kaution nicht transparent kommuniziert wird. In der App wird die Vorauszahlung nur im Kleingedruckten erwähnt, und bei der Nutzung von Kreditkarten wird der Betrag erst nach dem Tap-In am Eingangsterminal angezeigt .
Soziale Ausgrenzung
Das Modell könnte sozial benachteiligte Gruppen ausgrenzen. Menschen mit geringem Einkommen können es sich oft nicht leisten, 10 Pfund im Voraus zu blockieren, selbst wenn das Geld später zurückerstattet wird. Ältere oder technisch weniger versierte Kunden könnten durch die technologischen Hürden abgeschreckt werden .
Vergleich mit anderen kassenlosen Modellen

Amazon Go und Tesco GetGo
Aldi ist nicht der erste Einzelhändler, der kassenlose Geschäfte testet. Amazon hat mit Amazon Go bereits 2018 in den USA ähnliche Stores eingeführt, aber seine Ambitionen für die UK zurückgeschraubt. Tesco betreibt vier hybride GetGo-Filialen, die jedoch keine Vorauszahlung verlangen .
Marktübersicht kassenloser Einzelhandel
Einzelhändler | Modellname | Vorauszahlung erforderlich? | Aktuelle Expansion |
---|---|---|---|
Aldi | Shop & Go | Ja (10 Pfund) | Nur eine Testfiliale in Greenwich |
Amazon | Amazon Go | Nein | Ursprünglich 260 Stores geplant, aber stark reduziert |
Tesco | GetGo | Nein | Vier hybride Filialen im Betrieb |
Die Zukunft des Einzelhandels: Innovation oder Irrweg?
Potenzielle Vorteile
- Zeitersparnis: Keine Wartezeiten an der Kasse.
- Reduzierte Diebstahlquote: Die Kaution und Überwachungstechnologie könnten Diebstähle minimieren.
- Kostenersparnis für den Einzelhändler: Geringerer Personalbedarf könnte die Betriebskosten senken.
Potenzielle Nachteile
- Technologische Zuverlässigkeit: Wie die Tests gezeigt haben, ist die Technologie anfällig für Fehler.
- Soziale Spaltung: Das Modell könnte einkommensschwache Kunden ausschließen.
- Arbeitsplatzverluste: Die Automatisierung könnte zu Jobverlusten im Einzelhandel führen.
Einschätzung der Übertragbarkeit auf Deutschland
Aldi hat klargestellt, dass es keine Pläne gibt, das kassenlose System in Deutschland einzuführen. Die in Utrecht eröffnete Shop & Go-Filiale wurde bereits Ende 2024 wieder geschlossen, da sich das Konzept als nicht profitabel erwiesen hat . In Deutschland, wo Bargeld nach wie vor beliebt ist und Datenschutzbedenken hoch sind, wäre ein solches Modell voraussichtlich noch weniger akzeptiert.
Mein Fazit: Ein interessantes Experiment mit begrenzter Reichweite
Aldis Test einer Eintrittsgebühr in kassenlosen Geschäften ist zweifellos ein mutiger Schritt in die Zukunft des Einzelhandels. Allerdings deuten die technischen Mängel, die öffentliche Kritik und die potenzielle soziale Ausgrenzung darauf hin, dass dieses Modell in seiner aktuellen Form nicht ausreichend ausgereift ist.
Die Zukunft des Einzelhandels wird wahrscheinlich nicht in rein kassenlosen Geschäften liegen, sondern in hybriden Modellen, die sowohl traditionelle als auch selbstbediente Optionen bieten. Aldis CEO Giles Hurley hat bereits angedeutet, dass sich das Unternehmen eher auf Selbstbedienungskassen konzentrieren wird als auf vollständig kassenlose Filialen .
Für uns Verbraucher bedeutet dies, dass wir uns zwar auf mehr Technologie im Supermarkt einstellen müssen, aber nicht befürchten müssen, dass die menschliche Interaktion vollständig verschwindet. Die Aldi-Testfiliale in Greenwich sollte als Labor für Innovation betrachtet werden – nicht als Vorbild für die Zukunft aller Filialen.