Erbschaften sind ein Thema, das in Deutschland immer wieder für Diskussionen sorgt. Studien zeigen, dass Vermögensungleichheit durch Erbschaften stark verstärkt wird. Während wenige enorm von Erbschaften profitieren, bleibt für die Mehrheit kaum etwas übrig.
Wie können diese Ungerechtigkeiten behoben werden? Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Situation und mögliche Reformansätze, um Erbschaften gerechter zu gestalten.
Erbschaften in Deutschland: Wer profitiert wirklich?
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2021 haben die meisten Deutschen in den letzten 15 Jahren keine Erbschaft erhalten. Rund 90 % der Menschen erben nichts oder nur Schulden. Gleichzeitig zeigt sich, dass ein erheblicher Teil des Vermögens nicht durch Arbeit, sondern durch Erbschaften und Schenkungen weitergegeben wird. Der französische Ökonom Thomas Piketty schätzt, dass fast die Hälfte des Vermögens in Deutschland vererbt wird, statt durch Eigenleistung erwirtschaftet zu sein.
Der durchschnittliche Wert einer Erbschaft in Deutschland liegt bei 32.000 Euro, aber diese Zahl täuscht. Während einige Millionenbeträge erben, bleiben andere leer aus. Besonders problematisch ist, dass hohe Vermögen oft in den Händen derjenigen bleiben, die ohnehin schon wohlhabend sind. Dies verstärkt die Kluft zwischen Arm und Reich erheblich.
Regionale Unterschiede in Deutschland
Eine Besonderheit in Deutschland ist der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. Im Osten wird deutlich weniger vererbt. Dies hat historische Gründe: In der ehemaligen DDR war Privateigentum stark eingeschränkt, und es war kaum möglich, Vermögen aufzubauen. Nach der Wiedervereinigung wurden viele Staatsbetriebe privatisiert, wovon insbesondere Westdeutsche profitierten. Diese Unterschiede wirken bis heute nach.
Warum ist die Erbschaftssteuer so niedrig?
Deutschland nimmt vergleichsweise wenig Steuern aus Erbschaften ein. 2022 betrugen die Steuereinnahmen insgesamt rund 895 Milliarden Euro, davon nur etwa neun Milliarden Euro aus der Erbschaftssteuer. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass jährlich geschätzte 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt werden. Der Grund dafür sind hohe Freibeträge und zahlreiche Ausnahmen.
Beispiel für Freibeträge:
- Ehepartner können bis zu 500.000 Euro steuerfrei erben.
- Kinder profitieren von einem Freibetrag von 400.000 Euro.
- Schwiegerkinder hingegen haben nur einen Freibetrag von 20.000 Euro.
Für entfernte Verwandte oder nicht verwandte Personen gelten noch geringere Freibeträge und höhere Steuersätze. Dies bedeutet, dass nahe Angehörige oft nur geringe Steuern zahlen müssen, selbst bei großen Erbschaften.
Ungerechtigkeiten bei Unternehmensnachfolgen
Besonders umstritten sind die Regelungen für das Vererben von Unternehmensanteilen. Unternehmererben genießen weitreichende Steuerprivilegien, die normale Erben nicht haben. Während hohe Beträge auf einem Sparkonto stark besteuert werden können, bleiben Unternehmensvermögen oft nahezu steuerfrei. Dies liegt daran, dass der Gesetzgeber die Sicherung von Arbeitsplätzen priorisiert.
Kritiker wie Miriam Rehm, Professorin für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen, sehen hierin eine klare Bevorteilung der Reichen. Sie betont: „In Deutschland werden Erbschaften effektiv mit drei Prozent besteuert, Arbeit jedoch mit 30 Prozent. Wir stützen damit die Reichsten.“
Wie sieht es international aus?
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschland nicht allein mit seiner Ungleichheit steht, aber andere Länder gehen das Problem differenzierter an:
- Belgien: Hier sind fast 48 % der Nachlässe steuerpflichtig. Kinder können nur bis zu 17.000 US-Dollar steuerfrei erben.
- USA: Der Freibetrag liegt bei gigantischen 11 Millionen US-Dollar, doch der Anteil steuerpflichtiger Nachlässe beträgt nur 0,2 %.
- Österreich: Das Land hat die Erbschaftssteuer 2008 komplett abgeschafft.
Die OECD kritisiert regelmäßig, dass Deutschland das Potenzial der Erbschaftssteuer nicht nutzt, um soziale Ungleichheit zu reduzieren. Innovative, leistungsfähige Nicht-Erben seien dadurch wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt als Personen, die ein Vermögen geerbt haben.
Rechtslage und Reformbedarf
Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Erbschaftssteuerrecht bereits zweimal für verfassungswidrig erklärt. 2006 wurde bemängelt, dass die damaligen Regelungen den Gleichheitssatz verletzten. Eine Reform 2008 brachte keine ausreichenden Verbesserungen, weshalb das Gericht 2014 erneut intervenierte. Es kritisierte insbesondere, dass Großbetriebe ohne wirtschaftliche Prüfung von der Steuer verschont bleiben.
Aktuell steht das Thema wieder auf der politischen Agenda. Ein Kläger aus Bayern beschwerte sich, dass sein Erbe von 67.000 Euro stärker besteuert wird als millionenschwere Unternehmensnachlässe.
Welche Reformansätze gibt es?
Es gibt zahlreiche Ideen, wie die Erbschaftssteuer gerechter gestaltet werden könnte:
- Grüne Partei: Einführung eines lebenslangen Freibetrags von 1 Million Euro für jede Person. Alles darüber hinaus soll mit einem einheitlichen Steuersatz von 25 % besteuert werden, unabhängig von der Art des Vermögens.
- Netzwerk Steuergerechtigkeit: Abschaffung von Ausnahmeregelungen für Unternehmensvermögen und Einführung eines progressiven Steuersystems. Je höher das Erbe, desto höher der Steuersatz.
- Clemens Fuest (ifo-Institut): Er schlägt eine moderate Besteuerung vor, beispielsweise 10 % auf alle Vermögenswerte, ohne jegliche Sonderregelungen.
- Stefan Bach (DIW): Einführung eines „Grunderbes“: Jeder junge Erwachsene soll vom Staat 20.000 Euro erhalten, finanziert durch höhere Erbschaftssteuern für Superreiche.
Grunderbe: Eine revolutionäre Idee
Besonders das Konzept eines „Grunderbes“ sorgt für Aufsehen. Die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, fordern, dass alle 18-Jährigen mit Hauptwohnsitz in Deutschland 60.000 Euro erhalten sollen. Dies soll durch eine Reform der Erbschaftssteuer finanziert werden. Nach einem Freibetrag von knapp 1 Million Euro soll ein progressiver Steuersatz gelten, der mit 10 % beginnt und stufenweise steigt.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Gegner der Erbschaftssteuer argumentieren oft, dass diese eine Belastung für Unternehmen darstellt. Es wird befürchtet, dass Arbeitsplätze verloren gehen könnten, wenn Erben gezwungen werden, ihre Anteile zu verkaufen, um die Steuer zu zahlen. Doch Experten wie Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit schlagen vor, die Steuer über einen längeren Zeitraum in Raten zu zahlen, ähnlich wie bei einem Kredit.
Fazit: Brauchen wir eine Reform?
Die derzeitige Erbschaftsregelung in Deutschland wird der wachsenden Vermögensungleichheit nicht gerecht. Während Arbeit hoch besteuert wird, bleiben viele große Vermögen nahezu unberührt. Eine Reform der Erbschaftssteuer könnte nicht nur dazu beitragen, die soziale Gerechtigkeit zu fördern, sondern auch dringend benötigte Steuereinnahmen generieren.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Warum ist die Erbschaftssteuer in Deutschland so niedrig?
Die niedrige Erbschaftssteuer liegt an hohen Freibeträgen und zahlreichen Ausnahmen, insbesondere für Unternehmensvermögen.
Was bedeutet ein Grunderbe?
Ein Grunderbe ist eine finanzielle Grundausstattung, die jeder junge Erwachsene vom Staat erhalten könnte, um Chancengleichheit zu fördern.
Welche Freibeträge gelten für Erbschaften?
Ehepartner können bis zu 500.000 Euro steuerfrei erben, Kinder bis zu 400.000 Euro. Für entferntere Verwandte oder Nicht-Verwandte gelten deutlich niedrigere Freibeträge.
Könnten höhere Erbschaftssteuern Arbeitsplätze gefährden?
Studien zeigen, dass eine moderate Besteuerung von Unternehmensvermögen keine dramatischen Auswirkungen auf Arbeitsplätze hätte.
Gibt es in anderen Ländern höhere Erbschaftssteuern?
Ja, in Ländern wie Belgien oder der Schweiz sind deutlich mehr Nachlässe steuerpflichtig als in Deutschland.