
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat erneut gehandelt und den Leitzins zum fünften Mal in Folge gesenkt. Mit dieser Entscheidung wird der Einlagenzins, also die Verzinsung für überschüssige Bankguthaben bei der EZB, auf 2,75 Prozent reduziert.
Diese Maßnahme erfolgt in einem Kontext schwacher Konjunkturzahlen in der Eurozone, einer leichten Inflationserholung und strukturellen Herausforderungen in der Wirtschaft.
Doch welche Motivation steckt hinter dieser wiederholten Zinssenkung? Welche Auswirkungen hat sie für Sparer:innen, Unternehmen und die gesamte europäische Wirtschaft? Ein Überblick über die neuesten Entwicklungen und deren mögliche Folgen.
Der Hintergrund – Warum die EZB auf Zinssenkungen setzt
Seit Mitte 2024 stehen die wirtschaftlichen Signale in der Eurozone auf Sorgenmodus. Die Wirtschaft wächst kaum, während Schlüsselbranchen wie die Bauwirtschaft, die Konsumgüterindustrie und der Exportsektor deutliche Schwächen zeigen. Im vierten Quartal 2024 stagnierte das Wirtschaftswachstum im Euroraum nahezu, während Deutschland, einst die Wachstumslokomotive Europas, das zweite Jahr in Folge eine Rezession verzeichnete.
Nach Jahren hoher Inflationsraten, die im Herbst 2022 mit ihrem Rekordwert von 10,7 Prozent ihren Höhepunkt erreichten, hat sich die Lage inzwischen beruhigt. Die Inflation im Euro-Währungsgebiet lag zuletzt bei moderaten 2,4 Prozent. Diese Entwicklung gab der EZB den Spielraum, eine expansivere Geldpolitik zu verfolgen, um das schwache Wachstum zu stützen.
Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist die wirtschaftliche Lage weiterhin fragil. „Unser Ziel bleibt es, das Wachstum zu stützen und die Inflation auf unser angestrebtes Zwei-Prozent-Niveau zurückzuführen“, sagte Lagarde kürzlich in einer Pressekonferenz.
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Was die Zinssenkung konkret bedeutet
Mit der aktuellen Entscheidung senkt die EZB folgende Zinssätze:
- Einlagenzins: von 3,00 auf 2,75 Prozent
- Hauptrefinanzierungssatz: von 3,15 auf 2,90 Prozent
- Spitzenrefinanzierungssatz: von 3,25 auf 3,15 Prozent
Diese Zinssätze bestimmen, wie teuer es für Banken ist, entweder überschüssiges Kapital bei der EZB zu parken oder sich Geld für Kredite zu leihen.
Die Konsequenzen für Banken und Verbraucher sind weitreichend. Banken werden weniger für geparktes Geld bei der EZB belastet, was Kosten reduziert. Gleichzeitig könnten Kreditkosten für Verbraucher und Unternehmen sinken, da sich die Refinanzierungskosten der Banken verringern.
Auswirkungen auf Verbraucher:innen
Für Privatkund:innen und Sparer:innen bringt die erneute Zinssenkung gemischte Gefühle. Tagesgeld- und Festgeldkonten, ohnehin keine Rendite-Garantien in den letzten Jahren, könnten erneut an Attraktivität verlieren. Laut aktuellen Analysen des Vergleichsportals Verivox sanken die Zinsen für Festgelder mit zweijähriger Laufzeit kürzlich auf durchschnittlich 2,24 Prozent, während Tagesgeldkonten nun nur noch bei 1,56 Prozent im Mittel liegen.
Besonders für jene, die auf traditionelle Sparformen setzen, bedeutet dies weiteres Verlustpotenzial angesichts der realen Kaufkraftverluste durch die Inflation, auch wenn die aktuellen Inflationszahlen vergleichsweise moderat geblieben sind.
Positiv dürfte sich die Entwicklung hingegen auf potenzielle Kreditnehmer:innen auswirken. Hypothekenkredite und Bauzinsen, die zuletzt durch Zinsanhebungen teuer wurden, könnten nun wieder günstiger erhältlich sein. Dies gibt der angeschlagenen Immobilienbranche in der Eurozone eine dringend benötigte Atempause. Experten erwarten, dass diese Entwicklung mehr Menschen dazu ermutigen könnte, langfristige Investitionen wie den Kauf von Wohneigentum in Angriff zu nehmen.
Positive Effekte für Unternehmen?
Für die Wirtschaft hat die Zinssenkung ebenfalls diverse Vorteile. Unternehmen profitieren durch günstigere Kreditmöglichkeiten, da die Finanzierungskosten für neue Investitionen sinken. Das kann insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, die häufig auf Bankdarlehen für ihre Expansion angewiesen sind. Mit günstigeren Konditionen könnten viele Projekte umgesetzt werden, die sonst womöglich aus Kostengründen auf Eis gelegt würden.
Im Immobiliensektor zeigen sich bereits erste Reaktionen. Nach der Ankündigung der EZB stiegen die Aktien von Immobilienunternehmen europaweit um durchschnittlich 1,8 Prozent. Experten werten dies als Signal, dass Investoren wieder an Stabilität und Wachstumsmöglichkeiten in diesem sensiblen Marktbereich glauben.
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Herausforderungen und Kritikpunkte
Trotz der möglichen positiven Effekte auf die Konjunktur bleibt die Zinssenkung nicht unumstritten. Kritiker:innen warnen vor langfristigen Risiken durch eine zu expansive Geldpolitik. Besonders die Sparer:innen könnten zur Verlierergruppe zählen, da bei weiteren Zinssenkungen die Renditen auf Sparprodukte weiter abschmelzen könnten.
Außerdem bleibt unklar, ob die Zinssenkungen ausreichen, um die strukturellen Schwächen in der Eurozone zu beheben. Handelskonflikte, insbesondere unter der neuen US-Administration, und Unsicherheiten auf den globalen Märkten könnten weiterhin Druck auf die europäische Wirtschaft ausüben.
Darüber hinaus mahnen einige Volkswirte, dass die EZB in ihrer aggressiven Lockerungspolitik eine potenziell gefährliche Spirale in Gang setzen könnte. Derzeit gehen Prognosen davon aus, dass es 2025 zu zwei bis fünf weiteren Zinssenkungen kommen könnte. Wenn sich diese Erwartungen bewahrheiten, bliebe der Spielraum der EZB, in künftigen Krisen entschlossen zu handeln, stark eingeschränkt.
Ein globaler Vergleich – Europa gegen die USA
Während die Situation in der EU von wirtschaftlicher Stagnation und wachsender Vorsicht geprägt ist, zeigt sich in den USA ein völlig anderes Bild. Hier steht die Wirtschaft unter der Leitung von Fed-Chef Jerome Powell auf aktuell soliden Beinen, mit niedriger Arbeitslosigkeit und starkem Wachstum. Aufgrund dieser positiven Entwicklung hält die amerikanische Notenbank an ihrem derzeitigen Zinsniveau fest, ohne neue Zinssenkungen vorzunehmen.
Dieser Gegensatz macht jedoch deutlich, wie wichtig es für Europa ist, wirtschaftliches Wachstum in den kommenden Jahren durch gezielte Maßnahmen zu fördern, während ausreichend Puffer für künftige Krisen erhalten bleiben müssen.
Fazit – Ein Balanceakt der Geldpolitik
Die Zinssenkung der EZB markiert eine weitere drastische Maßnahme, um die fragile Wirtschaftslage der Eurozone zu stützen. Sie dürfte kurzfristig Erleichterungen für Kreditnehmer:innen und wichtige Branchen bringen, zugleich aber auch Herausforderungen für Sparer:innen und die langfristige Geldpolitik schaffen.
Wie die EZB in den kommenden Monaten weitermachen wird, hängt von der weiteren Konjunkturentwicklung und den globalen Rahmenbedingungen ab. Klar ist jedoch, dass die Geldpolitik unter Christine Lagarde weiterhin alles tun wird, um das wirtschaftliche Gleichgewicht in der Eurozone zu sichern.