Die Sprengung der beiden 160 Meter hohen Kühltürme des Kernkraftwerks Gundremmingen am 25. Oktober 2025 markierte das unübersehbare Ende eines bedeutenden Kapitels der deutschen Energiegeschichte. Jahrzehntelang prägten die imposanten Bauwerke die Landschaft zwischen Ulm und Augsburg und waren ein Symbol für die Kernenergie in Deutschland.
Ihr kontrollierter Einsturz ist nicht nur ein technisches Meisterstück, sondern auch ein Meilenstein im Rückbau des einst leistungsstärksten Kernkraftwerks der Bundesrepublik und ein klares Zeichen für die Energiewende. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe, den Ablauf der Sprengung, die Reaktionen der Öffentlichkeit und die Zukunft des Standorts.
Inhaltsverzeichnis
Die historische Bedeutung des Kernkraftwerks Gundremmingen
Das Kernkraftwerk Gundremmingen war über Jahrzehnte ein zentraler Pfeiler der bayerischen und deutschen Stromversorgung. Seine Geschichte ist eng mit dem Aufstieg und dem schrittweisen Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland verknüpft.
Von der Inbetriebnahme bis zum Leistungsprimus
Der Standort Gundremmingen hat eine lange nukleare Geschichte, die bereits in den 1960er Jahren begann.
- Block A: Bereits 1966 ging Block A als eines der ersten kommerziellen Kernkraftwerke Deutschlands in Betrieb. Nach einem Störfall im Jahr 1977 wurde dieser Siedewasserreaktor stillgelegt.
- Blöcke B und C: In den Jahren 1984 und 1985 folgten die deutlich leistungsstärkeren Blöcke B und C. Mit einer Bruttoleistung von jeweils rund 1.344 Megawatt waren sie lange Zeit die leistungsstärksten Reaktorblöcke in Deutschland.
- Stromproduktion: In seinen Spitzenzeiten produzierte das Kraftwerk mit den Blöcken B und C jährlich etwa 20 Milliarden Kilowattstunden Strom. Dies entsprach rund einem Viertel des gesamten bayerischen Strombedarfs und machte Gundremmingen zu einem der wichtigsten Energiestandorte des Landes.
Der Weg zur Stilllegung im Rahmen des Atomausstiegs
Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie besiegelte das Schicksal der Anlage. Gemäß dem deutschen Atomgesetz wurde Block B bereits Ende 2017 vom Netz genommen. Block C folgte Ende 2021 und beendete damit die Ära der Stromproduktion in Gundremmingen. Seitdem befindet sich die gesamte Anlage im Prozess des Rückbaus, ein komplexes und langwieriges Unterfangen, das voraussichtlich bis in die 2030er Jahre andauern wird.
Die Sprengung der Kühltürme: Eine technische Meisterleistung
Der Abriss der beiden Kühltürme war der sichtbarste Schritt im Rückbauprozess. Eine monatelange, akribische Planung war notwendig, um die 56.000 Tonnen Stahlbeton pro Turm sicher und kontrolliert zu Boden zu bringen.
Die Vorbereitungen für den „großen Knall“
Für die Sprengung war die Thüringer Sprenggesellschaft verantwortlich, ein Spezialunternehmen mit umfangreicher Erfahrung im Abriss großer Industrieanlagen. Die Vorbereitungen umfassten mehrere entscheidende Schritte:
- Entkernung: Bereits Monate vor der Sprengung wurden die Einbauten aus den Kühltürmen entfernt. Diese Komponenten waren, anders als Teile des Reaktorgebäudes, nie mit Radioaktivität in Berührung gekommen.
- Bohrungen und Fallkerben: Über 1.800 Bohrlöcher wurden präzise in die Stützpfeiler und die untere Schale der Türme gebohrt. Zusätzlich wurden sogenannte Fallschlitze angelegt, um die Richtung des Einsturzes exakt vorzugeben.
- Sprengstoff: Insgesamt wurden rund 600 Kilogramm Sprengstoff in den Bohrlöchern platziert. Ziel war es, die Struktur so zu schwächen, dass die Türme durch ihr Eigengewicht kollabieren.
Der Ablauf der Sprengung am 25. Oktober
Pünktlich um 12:00 Uhr wurde die Sprengung eingeleitet. Der Ablauf war sekundengenau choreografiert, um maximale Sicherheit zu gewährleisten.
- Vergrämungssprengung: Ein erster, kleinerer Knall diente dazu, Vögel und andere Tiere aus dem direkten Gefahrenbereich zu vertreiben.
- Hauptzündungen: Mit einem Abstand von wenigen Sekunden erfolgten die beiden Hauptzündungen. Die Sprengladungen zerstörten gezielt die Stützpfeiler und Teile der Betonschale.
- Kontrollierter Kollaps: Wie geplant neigten sich die Türme leicht zur Seite und fielen dann fast senkrecht in sich zusammen. Dieser „Faltkollaps“ minimierte die Erschütterungen und die Staubentwicklung und sorgte dafür, dass die Trümmer auf einer begrenzten Fläche landeten.
Die gesamte Aktion dauerte nur wenige Sekunden und verlief exakt nach Plan.
Gesellschaftliche Auswirkungen und öffentliches Interesse
Die Sprengung war weit mehr als nur ein technischer Vorgang. Sie war ein gesellschaftliches Ereignis, das Emotionen weckte und Zehntausende von Menschen anzog.
Ein Wahrzeichen verschwindet
Für die Anwohner in der Region waren die beiden Kühltürme über fast 50 Jahre ein vertrauter Anblick und ein unverkennbares Wahrzeichen. Ihr Verschwinden wurde von vielen mit Wehmut begleitet. Gleichzeitig symbolisierte der Abriss für viele auch das Ende der Risiken, die mit der Kernenergie verbunden sind.
Besucheransturm und Sicherheitsmaßnahmen
Die Behörden rechneten mit einem enormen öffentlichen Interesse und trafen umfangreiche Vorkehrungen:
- Sperrzone: Rund um das Kraftwerksgelände wurde eine großräumige Sicherheitszone eingerichtet, die von Hunderten Polizeikräften überwacht wurde.
- Verkehrsregelung: Um den erwarteten Ansturm von rund 30.000 Schaulustigen zu bewältigen, wurden Straßen gesperrt, Einbahnstraßenregelungen eingeführt und fast 2.000 provisorische Parkplätze geschaffen.
- „Sprengpartys“: In den umliegenden Gemeinden verfolgten viele Menschen das Ereignis bei privaten Feiern. Lokale Metzger boten „Sprengwürste“ an, und Bäcker verkauften Kühlturm-Lebkuchen – ein Zeichen dafür, wie tief das Kraftwerk im lokalen Bewusstsein verankert war.
Die Zukunft des Standorts Gundremmingen: Von Atom zu Erneuerbaren
Obwohl der vollständige Rückbau des Kernkraftwerks noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird, hat der Betreiber RWE bereits konkrete Pläne für die Nachnutzung des Areals. Gundremmingen soll ein wichtiger Energiestandort bleiben, jedoch mit einer völlig neuen Ausrichtung.
Deutschlands größter Batteriespeicher
Wenige Tage nach der Sprengung erfolgte der Spatenstich für ein zukunftsweisendes Projekt. Auf dem Gelände entsteht der aktuell größte Batteriespeicher Deutschlands.
- Kapazität: Mit einer geplanten Kapazität von rund 700 Megawattstunden kann der Speicher große Mengen Strom aufnehmen und bei Bedarf wieder ins Netz einspeisen.
- Funktion: Solche Speicher sind ein entscheidender Baustein für die Energiewende. Sie können überschüssigen Strom aus Solar- und Windkraftanlagen speichern und so die Netzstabilität gewährleisten, auch wenn Sonne und Wind nicht verfügbar sind.
Weitere Pläne für die Energiewende
Neben dem Batteriespeicher sind weitere Anlagen geplant, die die Transformation des Standorts vorantreiben sollen:
- Photovoltaikanlage: Ein Teil des Geländes soll für eine große Solaranlage genutzt werden.
- Gaskraftwerk: Geplant ist auch ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk, das als flexible Reserveleistung zur Verfügung stehen kann.
Die bestehende Netzinfrastruktur des ehemaligen Kernkraftwerks bietet ideale Voraussetzungen, um den hier erzeugten und gespeicherten grünen Strom effizient in das deutsche Stromnetz zu transportieren.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
1. Warum wurden die Kühltürme gesprengt und nicht anders abgerissen?
Die Sprengung ist bei solch großen Stahlbetonstrukturen die sicherste, schnellste und wirtschaftlichste Methode. Ein konventioneller Abriss mit Baggern hätte Monate gedauert, wäre technisch extrem aufwendig und mit höheren Risiken für die Arbeiter verbunden gewesen.
2. Waren die Kühltürme radioaktiv verseucht?
Nein. Die Kühltürme waren Teil des sekundären Wasserkreislaufs. Das Wasser, das durch sie floss, um gekühlt zu werden, kam nie direkt mit radioaktiven Teilen des Reaktors in Berührung. Daher waren die Türme nicht kontaminiert und konnten wie eine konventionelle Industrieanlage abgerissen werden.
3. Was passiert mit dem Schutt der Kühltürme?
Die rund 112.000 Tonnen Stahlbeton werden vor Ort zerkleinert und aufbereitet. Ein Großteil des Materials soll als Recycling-Schotter im Straßen- und Wegebau wiederverwendet werden.
4. Wie lange dauert der gesamte Rückbau des AKW Gundremmingen noch?
Der Rückbau eines Kernkraftwerks ist ein äußerst komplexer Prozess. Nach der Stilllegung müssen alle Systeme dekontaminiert und demontiert werden. Besonders der Abriss des Reaktorgebäudes und die sichere Verpackung des radioaktiven Materials sind zeitaufwendig. Der gesamte Prozess wird voraussichtlich noch bis in die 2030er Jahre andauern.
5. Warum wird am Standort ein Batteriespeicher gebaut?
Der Standort Gundremmingen verfügt über eine hervorragende Anbindung an das Hochspannungsnetz. Diese teure Infrastruktur bleibt nach dem Rückbau des AKW erhalten und kann ideal für die Einspeisung und Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien genutzt werden, was den Standort für Projekte der Energiewende prädestiniert.
Fazit
Die Sprengung der Kühltürme von Gundremmingen war ein symbolträchtiger Akt, der das Ende der kommerziellen Kernenergienutzung an diesem historischen Standort besiegelte. Sie steht für den unumkehrbaren Fortschritt des deutschen Atomausstiegs. Gleichzeitig markiert das Ereignis einen Aufbruch: Die Transformation des Geländes zu einem modernen Zentrum für erneuerbare Energien und Speichertechnologien zeigt, wie die Infrastruktur der Vergangenheit genutzt werden kann, um die Energielandschaft der Zukunft zu gestalten. Gundremmingen bleibt somit ein zentraler Energiestandort – nur die Energiequelle hat sich grundlegend gewandelt.



