Die Welt des Streamings ist schnelllebig und oft unbarmherzig. Serien kommen und gehen, und nicht selten bleiben Fans mit offenen Fragen und einem Gefühl der Enttäuschung zurück. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist die australische Netflix-Produktion „Tidelands“. Nach einer vielversprechenden ersten Staffel warten die Zuschauer seit Jahren vergeblich auf Tidelands Staffel 2.
Doch was ist wirklich passiert? Wurde die Serie stillschweigend abgesetzt, oder besteht noch ein Funken Hoffnung? Dieser Artikel analysiert den Status der Serie, beleuchtet die Hintergründe und wirft einen kritischen Blick auf die Konsequenzen für die australische Serienlandschaft und die Strategie von Netflix.
Der Status Quo: Was wir über Tidelands Staffel 2 wissen (und was nicht)
Als „Tidelands“ im Dezember 2018 auf Netflix debütierte, erregte die Serie schnell Aufmerksamkeit. Sie war die allererste vollständig von Netflix in Australien produzierte Originalserie – ein Meilenstein für die lokale Film- und Fernsehindustrie. Die Mischung aus Krimi, Drama und übernatürlicher Mythologie rund um die Tidelanders, halb Mensch, halb Sirene, fand eine engagierte Fangemeinde. Das Ende der ersten Staffel ließ bewusst viele Türen für eine Fortsetzung offen und schürte die Erwartungen an eine zweite Staffel.
Jahre später herrscht jedoch eine ohrenbetäubende Stille. Netflix hat sich nie offiziell zur Absetzung oder Verlängerung von „Tidelands“ geäußert. Dieses Phänomen wird in der Branche als „Ghost Cancelling“ bezeichnet – eine Serie wird intern beendet, ohne dass eine öffentliche Bekanntgabe erfolgt. Für die Fans ist dieser Zustand besonders frustrierend, da er jede Form von Abschluss verwehrt.

Anzeichen für das Ende
Mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass Tidelands Staffel 2 niemals das Licht der Welt erblicken wird:
- Funkstille auf den offiziellen Kanälen: Die Social-Media-Accounts der Serie sind seit Anfang 2019 inaktiv. Normalerweise sind dies die primären Kanäle, um die Fans bei Laune zu halten und Neuigkeiten zu verbreiten. Das plötzliche Verstummen kurz nach der Veröffentlichung ist ein starkes Indiz für eine fehlende Zukunft.
- Keine offiziellen Ankündigungen: In der Regel gibt Netflix eine Verlängerung innerhalb weniger Monate nach der Premiere bekannt. Bei „Tidelands“ ist diese Frist längst verstrichen. Selbst kritische Nachfragen von Branchenmagazinen blieben unbeantwortet.
- Schauspieler in neuen Projekten: Obwohl die Hauptdarsteller nach dem Ende der ersten Staffel nicht sofort in große neue Projekte involviert waren, haben sie sich inzwischen neuen Rollen zugewandt. Dies macht eine logistisch komplexe Wiederaufnahme der Dreharbeiten für eine zweite Staffel zunehmend unwahrscheinlich.
- Fehlende Rentabilität: Letztendlich ist Streaming ein Geschäft. Die Entscheidung über eine Verlängerung hängt von einem einfachen Verhältnis ab: Produktionskosten versus Zuschauerzahlen. Obwohl „Tidelands“ eine treue Fangemeinde hatte, war sie möglicherweise nicht groß genug, um die hohen Kosten einer weiteren Staffel mit aufwendigen Spezialeffekten und Drehorten zu rechtfertigen. Netflix veröffentlicht selten konkrete Zuschauerzahlen, aber das Fehlen einer Verlängerung spricht für sich.
Falschinformationen und Gerüchte
Im Laufe der Jahre tauchten immer wieder Gerüchte und gefälschte Veröffentlichungsdaten auf, die Fans neue Hoffnung machten. Webseiten und YouTube-Videos verkündeten fälschlicherweise Starttermine für Tidelands Staffel 2, oft für Dezember 2021. Diese Informationen waren jedoch nie durch offizielle Quellen bestätigt und dienten primär dazu, Klicks zu generieren. Für die Fangemeinde war dies ein emotionales Auf und Ab, das die Enttäuschung nur noch vergrößerte. Es ist ein trauriges Beispiel dafür, wie das Informationsvakuum, das durch das „Ghost Cancelling“ entsteht, von Dritten ausgenutzt werden kann.
Warum das Schicksal von Tidelands von Bedeutung ist
Die Absetzung einer einzelnen Serie mag auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen. Im Fall von „Tidelands“ hat sie jedoch eine tiefere symbolische Bedeutung, sowohl für die australische Filmindustrie als auch für die Content-Strategie von Netflix.
Ein Schlag für die australische Repräsentation
„Tidelands“ war mehr als nur eine weitere Fantasy-Serie. Es war ein Bekenntnis von Netflix zum Produktionsstandort Australien. Die Serie wurde von einem australischen Studio (Hoodlum Entertainment) produziert, mit einer überwiegend australischen Besetzung und Crew, und sie erzählte eine Geschichte, die tief in der Landschaft und Kultur von Queensland verwurzelt war. Die Serie zeigte der Welt, dass Australien mehr zu bieten hat als Koalas und Kängurus – es hat einzigartige Mythen, talentierte Kreative und atemberaubende Drehorte.
Die stille Absetzung sendete ein fatales Signal. Sie erweckte den Eindruck, dass Netflix zwar bereit war, ein Experiment zu wagen, aber nicht gewillt war, diesem langfristig eine Chance zu geben. Für lokale Kreative, die hofften, dass „Tidelands“ die Tür für weitere große Produktionen öffnen würde, war dies ein herber Rückschlag. Es stellt sich die Frage: Lohnt es sich, innovative und lokal verankerte Geschichten für einen globalen Streaming-Giganten zu entwickeln, wenn dieser bei der erstbesten Gelegenheit den Stecker zieht, ohne es auch nur für nötig zu halten, dies zu kommunizieren?
Einblick in die Netflix-Strategie: Quantität vor Kontinuität?
Das Schicksal von „Tidelands“ ist symptomatisch für einen breiteren Trend bei Netflix. Der Streaming-Dienst setzt auf einen konstanten Strom neuer Inhalte, um Abonnenten zu gewinnen und zu halten. Dieses Modell bevorzugt oft die Produktion vieler neuer erster Staffeln gegenüber der Fortführung bestehender Serien, insbesondere wenn diese als Nischenprodukte gelten. Eine Serie muss schnell ein globales Phänomen werden, um eine sichere Zukunft zu haben.
Diese Strategie hat mehrere Nachteile:
- Vertrauensverlust beim Publikum: Zuschauer zögern zunehmend, sich emotional in neue Serien zu investieren, aus Angst, dass diese nach einer Staffel mit einem Cliffhanger abgesetzt werden. Der Begriff „Netflix-Absetzung“ ist bereits zu einem geflügelten Wort geworden.
- Kreative Einschränkungen: Autoren und Showrunner stehen unter dem enormen Druck, eine Geschichte innerhalb einer Staffel möglichst umfassend zu erzählen, anstatt auf langfristige Charakterentwicklungen und komplexe Handlungsbögen zu setzen.
- Verlust von Kult-Potenzial: Viele heute als Klassiker geltende Serien hatten anfangs moderate Quoten und brauchten Zeit, um ihr Publikum zu finden. Das Netflix-Modell lässt für eine solche Entwicklung kaum Raum.
„Tidelands“ fiel genau in dieses Raster. Die Serie hatte das Potenzial, sich zu einem Kult-Hit zu entwickeln, eine tiefere Mythologie aufzubauen und ihre Charaktere weiterzuentwickeln. Doch sie bekam nie die Chance dazu.
Die Handlung: Offene Fragen, die nie beantwortet werden
Das abrupte Ende ließ die Fans mit einer Vielzahl unbeantworteter Fragen zurück, die das Potenzial für eine spannende Tidelands Staffel 2 verdeutlichen. Die erste Staffel endete mit einem dramatischen Höhepunkt: Cal McTeer (gespielt von Charlotte Best) akzeptiert ihr Schicksal und wird die neue Königin der Tidelanders. Dies war kein Ende, sondern ein Anfang.
Was hätte in Staffel 2 passieren können?
Basierend auf dem Finale der ersten Staffel lassen sich einige Handlungsstränge skizzieren, die in einer zweiten Staffel hätten erforscht werden können:
Charakter/Handlungsstrang | Offene Fragen nach Staffel 1 | Potenzial für Staffel 2 |
---|---|---|
Cal McTeer als neue Königin | Wie wird sie ihre Rolle als Anführerin der Tidelanders ausfüllen? Wird sie einen Weg finden, Menschen und Sirenen zu versöhnen? | Cals innere Zerrissenheit zwischen ihrer menschlichen Vergangenheit und ihrer neuen übernatürlichen Identität hätte im Zentrum gestanden. Ihre Führung wäre von alten Loyalitäten und neuen Feinden herausgefordert worden. |
Die Fragmente des Horns | Was ist die volle Macht des Horns, wenn alle Fragmente vereint sind? Wer sind die anderen Sirenenstämme weltweit, die Fragmente besitzen? | Eine globale Jagd nach den restlichen Fragmenten hätte die Welt von „Tidelands“ erheblich erweitert. Dies hätte die Einführung neuer, gefährlicherer Sirenenstämme ermöglicht und die Mythologie vertieft. |
Die Machenschaften von Adrielle | Obwohl Adrielle Cuthbert (gespielt von Elsa Pataky) am Ende scheinbar besiegt wurde, ist ihr Tod nicht eindeutig bestätigt. | Eine Rückkehr von Adrielle als rachsüchtige Antagonistin oder in einer neuen, unerwarteten Form wäre ein spannender Twist gewesen. Ihre Motive und ihre Vergangenheit hätten weiter beleuchtet werden können. |
Die menschliche Welt | Wie reagieren die menschlichen Bewohner von Orphelin Bay auf die Enthüllung der Tidelanders? Was passiert mit dem Drogenring? | Der Konflikt zwischen der menschlichen Welt und der verborgenen Gesellschaft der Sirenen hätte eskalieren können. Dies hätte Themen wie Angst vor dem Unbekannten, Ausgrenzung und den Kampf um Ressourcen aufgeworfen. |

Diese offenen Enden zeigen, dass die Geschichte von „Tidelands“ noch lange nicht auserzählt war. Das Potenzial für eine tiefere, komplexere Erzählung war immens. Die Entscheidung, diese Handlungsstränge nicht weiterzuverfolgen, ist nicht nur für die Fans enttäuschend, sondern auch eine verpasste kreative Chance.
Alternativen für Fans von „Tidelands“
Für Zuschauer, die von der Mischung aus Mystery, übernatürlichen Elementen und einer düsteren Atmosphäre in „Tidelands“ fasziniert waren, gibt es glücklicherweise andere Serien, die eine ähnliche Lücke füllen können. Auch wenn keine dieser Serien ein exakter Ersatz ist, bieten sie doch vergleichbare Themen und Stimmungen.
- „Siren“ (in Deutschland auf Joyn/ProSieben verfügbar): Diese US-Serie dreht sich ebenfalls um Sirenen, die an Land kommen, und erforscht den Konflikt zwischen Menschen und Meereswesen. Sie hat einen ähnlichen Fokus auf Mythologie und zwischenmenschliche Beziehungen.
- „The Kettering Incident“ (in Australien auf Foxtel): Eine weitere australische Mystery-Serie mit starken übernatürlichen Untertönen. Die Serie spielt in Tasmanien und hat eine ähnlich düstere und geheimnisvolle Atmosphäre wie „Tidelands“.
- „Glitch“ (Netflix): Eine preisgekrönte australische Serie, in der mehrere Menschen von den Toten auferstehen, ohne Erinnerung an ihre Vergangenheit. Sie verbindet persönliches Drama mit einem übernatürlichen Rätsel.
- „The OA“ (Netflix): Obwohl ebenfalls von Netflix nach zwei Staffeln abgesetzt, ist „The OA“ ein Meisterwerk des Mystery-Storytellings. Die Serie ist kühn, unvorhersehbar und hinterlässt einen bleibenden Eindruck – perfekt für alle, die komplexe und unkonventionelle Erzählungen lieben.
Diese Alternativen können den Schmerz über das Aus von Tidelands Staffel 2 vielleicht nicht lindern, aber sie zeigen, dass es weiterhin großartige Serien gibt, die es zu entdecken gilt.
Das Vermächtnis von „Tidelands“ und die Zukunft australischer Produktionen
Trotz seines vorzeitigen Endes hat „Tidelands“ ein Vermächtnis hinterlassen. Die Serie hat bewiesen, dass australische Produktionen auf der globalen Bühne bestehen können und ein internationales Publikum für ihre einzigartigen Geschichten begeistern können. Sie hat den Weg für nachfolgende australische Netflix-Originals wie „Lunatics“, „Clickbait“ oder die Neuauflage von „Heartbreak High“ geebnet. Netflix hat nach „Tidelands“ sogar ein permanentes Büro in Sydney eröffnet, was ein langfristiges Engagement für die Region signalisiert.
Man könnte argumentieren, dass „Tidelands“ ein notwendiges Opfer war – ein erstes Experiment, aus dessen Daten Netflix gelernt hat, wie man australische Inhalte besser vermarkten und produzieren kann. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Das stille Ende der Serie steht symbolisch für die Wegwerfkultur im Zeitalter des „Peak TV“, in dem selbst vielversprechende Shows nicht die Zeit bekommen, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Fazit: Ein ungeschriebenes Kapitel in der Streaming-Geschichte
Die Saga um Tidelands Staffel 2 ist letztlich eine traurige Geschichte über verpasste Gelegenheiten. Eine einzigartige, mutige Serie mit einer faszinierenden Mythologie und einer talentierten Besetzung wurde fallen gelassen, bevor sie ihre Geschichte zu Ende erzählen konnte. Die Fans bleiben mit unbeantworteten Fragen und dem Gefühl zurück, dass ihre Investition in die Welt von Orphelin Bay umsonst war.
Das Schicksal von „Tidelands“ dient als Mahnung an die Streaming-Dienste, dass hinter den Metriken und Algorithmen echte Menschen stehen – sowohl die Kreativen, die ihre Leidenschaft in diese Projekte stecken, als auch die Zuschauer, die sich emotional darauf einlassen. Eine transparente Kommunikation, selbst bei einer Absetzung, wäre das Mindeste, was man als Zeichen des Respekts erwarten könnte.
Auch wenn die Hoffnung auf eine Fortsetzung inzwischen gegen Null tendiert, bleibt „Tidelands“ ein wichtiges, wenn auch unvollendetes Kapitel in der Geschichte der australischen Fernsehproduktion. Es war eine Serie, die es gewagt hat, anders zu sein, und die uns einen flüchtigen Blick auf eine faszinierende Welt voller Sirenen, Geheimnisse und ungelöster Konflikte gewährt hat. Das ungeschriebene zweite Kapitel wird für immer in der Fantasie der Fans weiterleben – als Symbol für das, was hätte sein können.