Als Atlus nach 25 Jahren eine Fortsetzung zu Devil Summoner: Soul Hackers ankündigte, war die Aufregung in der JRPG-Community spürbar. Der Vorgänger, ein Nischenklassiker für den Sega Saturn, der erst Jahre später durch einen 3DS-Port im Westen Bekanntheit erlangte, ist für sein düsteres Cyberpunk-Setting und seine Hardcore-Mechaniken bekannt. Die Erwartungen an Soul Hackers 2 waren dementsprechend hoch: Würde es die düstere, komplexe Identität der Reihe in die Moderne überführen oder einen völlig neuen Weg einschlagen?
Nach Dutzenden von Stunden in der digitalen Welt von Aion ist die Antwort klar: Soul Hackers 2 ist ein Spiel der Widersprüche. Es glänzt mit einem atemberaubenden visuellen Stil und sympathischen Charakteren, enttäuscht aber durch repetitive Dungeons, ein vereinfachtes Kampfsystem und eine Handlung, die ihr volles Potenzial nie ausschöpft. Dieses Soul Hackers 2 Review taucht tief in die Stärken und Schwächen eines Spiels ein, das so viel mehr hätte sein können.
Eine Welt am Rande der Apokalypse: Die Geschichte von Soul Hackers 2
Die Menschheit hat einen Punkt der Stagnation erreicht. Der technologische und gesellschaftliche Fortschritt ist ins Stocken geraten, und eine globale Apathie macht sich breit. Im Verborgenen tobt jedoch ein Krieg zwischen zwei Fraktionen von Teufelsbeschwörern: der schützenden Yatagarasu und der zerstörerischen Phantom Society. Inmitten dieses Konflikts wird Aion, eine allwissende künstliche Intelligenz, geboren aus der Gesamtheit des menschlichen Wissens, aktiv. Um eine bevorstehende Apokalypse zu verhindern, erschafft sie zwei physische Agentinnen, Ringo und Figue, und schickt sie los, um Schlüsselfiguren zu schützen, deren Tod die Welt ins Verderben stürzen würde.
Der Clou: Ringo und Figue kommen zu spät. Die Personen, die sie retten sollten, sind bereits tot. Ringo, pragmatisch und neugierig, nutzt eine außergewöhnliche Fähigkeit namens „Soul Hack“, um die Seelen der Verstorbenen zu hacken und sie ins Leben zurückzuholen. So formt sich eine ungleiche Gruppe aus dem pflichtbewussten Yatagarasu-Agenten Arrow, der eiskalten Phantom-Society-Abtrünnigen Milady und dem freiberuflichen, lässigen Teufelsbeschwörer Saizo. Gemeinsam jagen sie den „Bünden“ nach – mächtigen Energien, die, wenn sie vereint werden, das „Große Wesen“ herbeirufen und die Welt nach dem Willen ihres Meisters neu formen können.
Charaktere, die im Gedächtnis bleiben
Die Prämisse ist zwar ein klassisches „Rettet die Welt“-Szenario, wie es für JRPGs typisch ist, aber die Stärke von Soul Hackers 2 liegt eindeutig bei seinen Protagonisten. Anders als in vielen anderen Atlus-Spielen wird die gesamte Party innerhalb der ersten Spielstunden etabliert. Das gibt den Charakteren viel Raum, sich zu entwickeln und miteinander zu interagieren.
- Ringo: Als KI in einem menschlichen Körper ist sie die perfekte Linse, durch die der Spieler die Welt und die Eigenheiten der Menschheit entdeckt. Ihre Kommentare sind oft witzig, direkt und von einer charmanten Naivität geprägt, während sie versucht, menschliche Emotionen zu verstehen. Sie ist eine der seltenen sprechenden Protagonistinnen in einem Megaten-Spiel und trägt die Geschichte mit ihrer Persönlichkeit.
- Arrow: Er repräsentiert das Pflichtbewusstsein und den Idealismus. Sein unerschütterlicher Glaube an das Gute wird jedoch immer wieder auf die Probe gestellt, was ihn zu einer nachvollziehbaren und sympathischen Figur macht.
- Milady: Die Femme Fatale der Gruppe verbirgt hinter ihrer kühlen Fassade tiefe Wunden und eine komplexe Vergangenheit, die eng mit einem der Hauptantagonisten verwoben ist. Ihre Entwicklung von einer distanzierten Killerin zu einem loyalen Teammitglied ist fesselnd.
- Saizo: Der charmante, aber oft egoistische Draufgänger sorgt für die nötige Lockerheit in der Gruppe. Seine persönliche Geschichte, die sich um die Beziehung zu seiner Ex-Freundin dreht, die nun auf der Seite des Feindes steht, verleiht ihm unerwarteten Tiefgang.
Die Interaktionen zwischen diesen vier grundverschiedenen Persönlichkeiten sind das Herzstück des Spiels. Ob bei einem Drink in der Bar, gemeinsamen Mahlzeiten im Versteck oder den optionalen „Hangout-Events“ – hier entfaltet sich der Charme von Soul Hackers 2. Die Dialoge sind gut geschrieben und die englische sowie japanische Sprachausgabe ist durchweg hochwertig.
Die Soul Matrix: Ein tiefer Blick in die Seele mit Schönheitsfehlern
Ein zentrales Spielelement, das eng mit den Charakteren verknüpft ist, ist die Soul Matrix. Dies ist ein optionaler, aber essenzieller Dungeon, der die Psyche jedes Gruppenmitglieds darstellt. Je höher Ringos „Seelenlevel“ mit einem Charakter ist – was durch Dialogentscheidungen und gemeinsame Aktivitäten beeinflusst wird –, desto tiefer kann sie in dessen Soul Matrix vordringen.
In diesen Dungeons werden die Hintergrundgeschichten, Traumata und Motivationen von Arrow, Milady und Saizo enthüllt. Spieler, die diesen Inhalt überspringen, verpassen nicht nur wichtige Charakterentwicklungen, sondern auch mächtige Fähigkeiten und Boni. Die Soul Matrix ist somit der Ort, an dem die ansonsten eher oberflächliche Haupthandlung an emotionaler Tiefe gewinnt. Leider krankt dieses Konzept an seiner visuellen Umsetzung, doch dazu später mehr.
Charakter | Motivation in der Soul Matrix | Freischaltbare Boni |
---|---|---|
Arrow | Auseinandersetzung mit seinem Versagen und dem Gefühl der Ohnmacht angesichts der Machenschaften der Phantom Society. | Fähigkeiten, die auf physischen Schaden und Unterstützung ausgelegt sind. |
Milady | Konfrontation mit ihrer traumatischen Vergangenheit und dem Verrat, der sie zu dem gemacht hat, was sie ist. | Starke Feuer- und Allmacht-Fähigkeiten, die ihren offensiven Charakter unterstreichen. |
Saizo | Verarbeitung seiner gescheiterten Beziehung und der Frage nach Loyalität und persönlichem Glück. | Heil- und Unterstützungszauber sowie Eis-Fähigkeiten, die ihn zum vielseitigsten Heiler machen. |
Obwohl die Idee, die Psyche der Charaktere als erkundbaren Raum darzustellen, faszinierend ist, bleibt die Haupthandlung selbst über weite Strecken überraschend dünn. Die Jagd nach den Bünden fühlt sich oft wie eine simple „Sammle die fünf MacGuffins“-Quest an. Der Hauptantagonist, Iron Mask, und die Phantom Society bleiben als Organisation blass und ihre Motive wirken unterentwickelt. Es gibt zwar einige Wendungen, aber die Geschichte erreicht nie die erzählerische Dichte oder die philosophische Tiefe, die man von Titeln wie Shin Megami Tensei oder Persona gewohnt ist.

Gameplay-Analyse: Ein gestrafftes System auf Kosten der Tiefe
Das Gameplay von Soul Hackers 2 versucht, die klassischen Formeln der Shin Megami Tensei-Reihe zu modernisieren und zugänglicher zu machen. Das Ergebnis ist ein zweischneidiges Schwert: Während der Einstieg erleichtert wird, geht ein Großteil der strategischen Tiefe verloren, die Veteranen der Serie so schätzen.
Das Kampfsystem: Sabbaths statt Press Turn
Das Herzstück eines jeden Atlus-RPGs ist das Kampfsystem. Soul Hackers 2 verabschiedet sich vom ikonischen „Press Turn“-System (bekannt aus Shin Megami Tensei) und von „1 More“ (bekannt aus Persona). Anstatt für das Ausnutzen von Schwächen zusätzliche Züge zu erhalten, baut man einen „Stapel“ auf.
Jedes Mal, wenn ein Charakter die Elementarschwäche eines Gegners trifft, wird einer seiner ausgerüsteten Dämonen dem Stapel hinzugefügt. Am Ende der eigenen Runde wird ein „Sabbath“ ausgelöst – ein mächtiger Angriff, bei dem alle gestapelten Dämonen gleichzeitig auf alle Gegner losgehen. Je höher der Stapel, desto größer der Schaden.
Die Vor- und Nachteile des Sabbath-Systems:
- Vorteile:
- Schneller Spielfluss: Die Kämpfe sind rasant und dynamisch. Es gibt keine Rundenverluste durch verfehlte Angriffe oder resistente Gegner.
- Einsteigerfreundlich: Das Konzept ist leicht zu verstehen und belohnt grundlegende taktische Überlegungen, ohne zu überfordern.
- Visuell ansprechend: Ein voll aufgeladener Sabbath ist ein befriedigendes Spektakel aus Effekten und hohem Schaden.
- Nachteile:
- Geringere strategische Tiefe: Da es keine negativen Konsequenzen für das Treffen der eigenen Schwächen gibt (außer erhöhtem Schaden), entfällt eine wichtige defensive Ebene. Die strategische Komponente beschränkt sich oft darauf, so viele Schwächen wie möglich zu treffen.
- Mangelnde Entwicklung: Das System wird früh eingeführt und entwickelt sich im Spielverlauf kaum weiter. Zwar schaltet man Fähigkeiten frei, um den Stapel schneller zu erhöhen, aber die grundlegende Mechanik bleibt unverändert und wird auf Dauer repetitiv.
- Dominanz von Allmacht-Angriffen: Im späteren Spielverlauf können Allmacht-Angriffe (wie Megido), die keinen Stapel aufbauen, aber konstanten Schaden verursachen, effektiver sein als das gezielte Ausnutzen von Schwächen, was die Kernmechanik untergräbt.
Zusätzlich verfügt Ringo über Kommandofähigkeiten, die einmal pro Runde eingesetzt werden können. Diese erlauben Aktionen wie den Austausch eines Dämons mitten im Kampf oder die Konzentration des Sabbath-Schadens auf ein einzelnes Ziel. Diese Fähigkeiten fügen eine willkommene taktische Ebene hinzu, können die grundlegende Monotonie der späteren Kämpfe aber nicht vollständig durchbrechen.
Dämonen: Werkzeuge statt Partner
Ein weiteres Markenzeichen der Serie, die Dämonenverhandlung, wurde in Soul Hackers 2 stark vereinfacht. Anstatt im Kampf mit Dämonen zu sprechen und sie durch knifflige Dialogoptionen zu überzeugen, funktioniert die Rekrutierung nun über die „Dämonen-Aufklärung“. Während man Dungeons erkundet, schickt man seine eigenen Dämonen aus, um die Gegend zu erkunden. Trifft man sie wieder, können sie Heilung, Gegenstände, Geld oder einen neuen Dämon anbieten. Die Verhandlung beschränkt sich dann auf eine simple Forderung (z.B. Geld oder HP), die man erfüllt, um den Dämon sofort zu rekrutieren.
Diese Änderung entfernt den gesamten Zufallsfaktor und die Persönlichkeit, die die Dämonenverhandlungen in anderen Titeln ausmachten. Dämonen fühlen sich weniger wie eigenständige Wesen und mehr wie sammelbare Fähigkeiten an. Die klassische Dämonenfusion im Cirque du Goumaden bleibt jedoch erhalten und ist nach wie vor der beste Weg, um mächtige Verbündete mit maßgeschneiderten Fähigkeiten zu erschaffen.
Jeder Charakter kann einen Dämon ausrüsten, der seine Statuswerte, Fähigkeiten und elementaren Resistenzen bestimmt. Dies erinnert an die älteren Persona-Spiele und ermöglicht eine flexible Anpassung der Gruppe. Durch das Verbessern der COMPs (der waffenähnlichen Geräte der Beschwörer) können Charaktere zudem passive Boni für bestimmte Elemente oder Fähigkeitentypen freischalten, was eine leichte Spezialisierung ermöglicht.
Das größte Manko: Das Dungeon-Design
Wo Soul Hackers 2 am deutlichsten scheitert, ist sein Dungeon-Design. Trotz der stilvollen Charaktermodelle und der neon-getränkten Stadtlandschaften sind die Dungeons, in denen man den Großteil der Spielzeit verbringt, schmerzhaft langweilig, repetitiv und uninspiriert.
Die meisten Story-Dungeons bestehen aus endlosen, sterilen Korridoren, sei es in einer verlassenen U-Bahn, einem Lagerhaus oder einem Schiffscontainerhafen. Es gibt kaum visuelle Abwechslung, keine interessanten Gimmicks oder nennenswerte Rätsel. Die Level-Architektur wirkt oft wie zufällig zusammengewürfelt, mit vielen Sackgassen, die nur dazu dienen, einen Aufklärungsdämon oder einen Gegner zu platzieren.
Das Problem wird in der bereits erwähnten Soul Matrix auf die Spitze getrieben. Obwohl dieser Ort die faszinierende Psyche der Charaktere darstellen soll, ist er visuell ein Albtraum aus sich wiederholenden, leuchtenden Kuben und Gängen. Jeder Bereich der Soul Matrix sieht nahezu identisch aus, was die Erkundung schnell zu einer monotonen Pflichtübung verkommen lässt. Im Vergleich zu den kreativ gestalteten Palästen aus Persona 5 oder den apokalyptischen Weiten von Shin Megami Tensei V ist das Dungeon-Design von Soul Hackers 2 ein gewaltiger Rückschritt für Atlus.
Dieses Problem wird durch die unausgeglichene Schwierigkeitskurve noch verstärkt. Da ein Großteil des Spiels optional ist (Nebenquests, Soul Matrix), fühlt man sich oft entweder überlevelt (wenn man alles erledigt) oder unterlevelt (wenn man sich nur auf die Hauptstory konzentriert). Ein befriedigender, herausfordernder Mittelweg wird selten erreicht.
Visueller Stil und Sound: Ein Fest für die Sinne
Trotz der spielerischen Mängel ist Soul Hackers 2 ein visuell beeindruckendes Spiel. Der größte Pluspunkt ist das Charakterdesign von Shirow Miwa (bekannt für den Manga Dogs: Bullets & Carnage) und die musikalische Untermalung von MONACA (bekannt für Nier: Automata).
Ein Cyberpunk-Look mit Neon-Flair
Der Stil des Spiels ist eine Mischung aus Cyberpunk und moderner urbaner Mode. Die Charaktere strotzen vor Persönlichkeit: Ringos leuchtender Undercut, Miladys elegante, aber tödliche Erscheinung und Saizos lässiger Street-Style fügen sich perfekt in die neonbeleuchteten Gassen der geheimen Stadt der Teufelsbeschwörer ein. Die Benutzeroberfläche ist scharf, stilvoll und intuitiv – ein Markenzeichen von Atlus. Die 3D-Modelle sind sauber, gut animiert und fangen den Geist der 2D-Artworks perfekt ein.
Dieser hohe ästhetische Anspruch macht die Enttäuschung über das uninspirierte Dungeon-Design nur noch größer. Die Kluft zwischen den lebendigen Stadt-Hubs und den sterilen Dungeons ist gewaltig. Es wirkt fast so, als hätten zwei völlig unterschiedliche Teams an den jeweiligen Bereichen gearbeitet.
Der Soundtrack: Jazz, Rock und elektronische Klänge
Der Soundtrack von MONACA ist durchweg exzellent. Er kombiniert Elemente aus Acid Jazz, Rock und elektronischer Musik zu einem einzigartigen Klangbild, das die Cyberpunk-Atmosphäre perfekt untermalt. Die Kampfmusik ist energiegeladen und treibend, während die Stücke in den Stadtgebieten eine entspannte, coole Atmosphäre schaffen. Auch wenn kein einzelner Track die ikonische Qualität eines „Last Surprise“ oder „Rivers in the Desert“ erreicht, ist der Soundtrack als Ganzes eine der größten Stärken des Spiels.
Fazit: Ein vielversprechender, aber fehlerhafter Neustart
Am Ende hinterlässt dieses Soul Hackers 2 Review einen zwiespältigen Eindruck. Das Spiel ist eine seltsame Mischung aus brillanten Ideen und mittelmäßiger Ausführung. Es positioniert sich als einsteigerfreundliches JRPG, das viele der komplexeren Mechaniken seiner Vorgänger strafft. Dieser Ansatz macht es zu einem großartigen Einstiegspunkt für Neulinge im Atlus-Universum, dürfte aber viele langjährige Fans enttäuschen, die sich mehr Tiefe und Herausforderung gewünscht hätten.
Soul Hackers 2 ist kein schlechtes Spiel. Es ist ein solides, unterhaltsames JRPG mit einer Spieldauer von 40-60 Stunden. Die sympathischen Charaktere, die stilvolle Präsentation und der treibende Soundtrack tragen das Erlebnis über weite Strecken. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass hier eine große Chance vertan wurde. Das Potenzial für eine einzigartige Sub-Serie neben Persona und Shin Megami Tensei war greifbar, wurde aber durch das schwache Dungeon-Design und das oberflächliche Gameplay ausgebremst.
Für die Zukunft der Reihe bleibt zu hoffen, dass Atlus auf den Stärken aufbaut – dem Stil, den Charakteren und der Atmosphäre – und die Schwächen, insbesondere die repetitiven Dungeons, in einem potenziellen Nachfolger überwindet. Bis dahin bleibt Soul Hackers 2 ein stilvoller, aber letztendlich substanzloser Hack, der mehr Herz als Verstand beweist.