Die Welt der Queer-Theorie und der Medienwissenschaften entwickelt sich stetig weiter und fördert einzigartige kulturelle Artefakte zutage, die uns dazu bringen, Identität, Repräsentation und Erinnerung neu zu hinterfragen. Unter diesen Hervorbringungen hebt sich Peter Rehbergs „Hipster Porn: Queer Masculinities and Affective Sexualities in the Fanzine Butt“ hervor – ein tiefgründiges Werk, das ein prägendes kulturelles Phänomen analysiert. Veröffentlicht von b-books am 20.
Dezember 2018, bietet diese 430-seitige Studie eine intensive Reflexion über das Vermächtnis des queeren Fanzines Butt, das das Bild schwuler Männlichkeit im frühen 21. Jahrhundert neu definierte. Rehbergs Buch ist ein faszinierender Mix aus Theorie und kritischer Analyse, der Ästhetik, die Geschichte der Sexualität und die Entwicklung queerer Repräsentationen in den Medien vereint.
Diese Rezension beleuchtet die einzigartigen Stärken von Hipster Porn und bietet einen detaillierten Einblick in dessen Themen, historischen Kontext, theoretische Fundamente und zeitgenössische Relevanz.
Ein Blick in die Welt von Butt
Um Hipster Porn zu verstehen, muss man die kulturelle Bedeutung des Fanzines Butt genau erfassen. Dieses Magazin entstand 2001 in Amsterdam und wurde schnell zu einem Vorreiter der queeren Mediengeschichte. Mit seinen rosafarbenen Seiten brach Butt die idealisierten, polierten Vorstellungen der 1990er-Jahre auf und feierte eine völlig neue Darstellung schwuler Männlichkeit – lässig, unperfekt und kompromisslos authentisch. Statt den muskulösen, hyper-maskulinen Idealen vergangener Jahrzehnte zu huldigen, präsentierte Butt Männer mit Bärten, Körperbehaarung und ungeschliffenem Charme – und ebnete damit den Weg für das, was heute als „Hipster-Ästhetik“ bekannt ist.
Während seines zehnjährigen Bestehens bis 2011 etablierte Butt eine kraftvolle und subversive Identität für queere Männer, indem es eine Stimme für all jene lieferte, die sich außerhalb der Mainstream-Kultur bewegten. Die Darstellungen in Butt gingen weit über bloße Körperlichkeit hinaus und setzten den Fokus auf Verletzlichkeit, Intimität und eine neue Art von Erotik. Rehbergs Buch analysiert diesen kulturellen Wendepunkt und erklärt, warum Butt damals eine so große Rolle spielte – und warum es heute noch relevant ist.

Die historische Perspektive
Um Hipster Porn umfassend zu würdigen, ist es notwendig, den historischen Hintergrund zu betrachten, vor dem Butt entstand. Das späte 20. Jahrhundert war in der schwulen Kultur stark von einem intensiven Streben nach körperlicher Perfektion geprägt – eine Reaktion auf die Traumata der AIDS-Epidemie. Der gepriesene hyperfitte, „saubere“ Look der 1990er Jahre symbolisierte Vitalität und Gesundheit in einer Zeit, die von Verlust und Angst geprägt war.
Mit seinem ersten Erscheinungsjahr 2001 setzte Butt einen starken Kontrapunkt zu diesen polierten Idealen. Das Fanzine war ein Zufluchtsort für alle, die in Unvollkommenheit und Authentizität Schönheit sahen. Durch ehrliche Interviews, intime Porträts und rohe Bildwelten lotete es die Grenzen der queeren Medien aus und präsentierte seine Protagonisten als komplexe Persönlichkeiten statt als bloße Objekte der Begierde. Inspiriert von der Amateurästhetik des „Porn 2.0“ (also nutzergenerierten Erwachsenen-Inhalten) wirkte Butt persönlich und unmittelbar – eine Einladung an seine Leser, an einem Akt der Repräsentation und Selbstermächtigung mitzuwirken.
Rehberg verortet Butt in größeren historischen Strömungen und betont seine Rolle sowohl als Reaktion auf als auch als Kritik an den dominanten Schönheitsidealen der damaligen Zeit. Die in Butt porträtierten Männer – die sogenannten „Butt Boys“ – verkörperten ein Ethos des Widerstands. Sie standen im Gegensatz zu den aseptischen Bildern der Männlichkeit und schufen Raum für eine Form der Selbstverwirklichung, die sich den gesellschaftlichen Erwartungen entzog.
Themen und Inhalte
Im Kern ist Hipster Porn eine Untersuchung darüber, wie Butt eine neu imaginierte queere Männlichkeit kultivierte. Rehberg analysiert, wie diese Identitäten mit Konzepten wie Intimität, Verletzlichkeit und „affektiver Sexualität“ in Beziehung treten. Das Buch argumentiert überzeugend, dass das Fanzine die Darstellung schwuler Männer transformierte, indem es unperfekte Körper mit rohen Wünschen vereinte und Sexualität als zutiefst menschliche Erfahrung statt als inszeniertes Spektakel präsentierte.
Zentral für diese Analyse steht die Figur des „Homo-Hipsters“. Nach Rehberg verkörpert dieser Archetyp den subversiven Geist der Gegenkultur der 1960er Jahre, verknüpft mit den Ästhetiken heutiger Queerness. Der Homo-Hipster strebte nicht nach heteronormativen Idealen, sondern bewegte sich in einem Grenzbereich zwischen Nostalgie und Rebellion. Indem er Parallelen zwischen Butt und breiteren kulturellen Bewegungen zieht, zeigt Rehberg, dass das Fanzine weit über ein Nischenmedium hinausging und als Linse fungiert, um umfassendere Muster von Identität und Repräsentation zu verstehen.
Durch die Linse queerer Männlichkeiten reflektiert das Buch auch das anhaltende Vermächtnis der AIDS-Krise. Es untersucht, wie Butt den medizinischen Diskurs herausforderte, starren Normen „gesunder“ schwuler Körper entgegenwirkte und Unvollkommenheit als ästhetische sowie politische Haltung zurück in den Mittelpunkt rückte. Durch die Verbindung von Sexualität und Verletzlichkeit gestalteten die „Butt Boys“ Begehrensstrukturen nach eigenen Vorstellungen.
Theoretische Perspektiven
Rehbergs größte Stärke liegt in seiner Fähigkeit, mehrere theoretische Ansätze in eine kohärente Analyse zu integrieren. Hipster Porn ist ein reichhaltiger Teppich aus Queer-Theorie, Maskulinitätsforschung, Medienwissenschaft und Affekttheorie, die sich überschneiden und die kulturelle Wirkung des Fanzines beleuchten.
- Queer-Theorie: Rehberg nutzt grundlegende Konzepte der Queer-Theorie, um binäre Oppositionspaare zu hinterfragen und die Fluidität innerhalb der Darstellungen schwuler Männer in Butt zu erforschen. Er setzt diese Prinzipien ein, um normative Kategorisierungen von Identität und Ästhetik kritisch zu beleuchten und Butt als radikalen Akt des Widerstands zu positionieren.
- Maskulinitätsforschung: Das Buch untersucht traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit, insbesondere in queeren Dimensionen. Rehbergs Analyse zeigt Butt als einen Raum, in dem Männlichkeit nicht durch Stärke oder Dominanz, sondern durch Intimität, Emotionen und multidimensionale Komplexität definiert wird.
- Medienwissenschaft: Rehberg beleuchtet, wie Butt die Amateurästhetik der frühen 2000er Jahre, insbesondere des Porn 2.0, nutzte. Diese nutzergenerierte Ästhetik verlieh dem Magazin eine rohe Authentizität, die im starken Kontrast zu den hochproduzierten Mainstream-Bildern stand.
- Affekt-Theorie: Abschließend hebt das Buch die emotionale Resonanz von Butt hervor, indem es untersucht, wie seine Seiten ein Gefühl der gemeinsamen Erfahrung kultivierten. Durch die Affekttheorie zeigt Rehberg, wie physische Verletzlichkeit zum Medium der Verbindung und des Widerstands wurde.
Jede dieser Perspektiven bereichert die Erzählung und regt zum Nachdenken an.
Die Ästhetik der Unvollkommenheit
Einer der herausragendsten Aspekte von Rehbergs Analyse ist die Auseinandersetzung mit der Ästhetik von Butt. Die kompromisslose Darstellung von Unvollkommenheit – unretuschierte Bilder, beiläufige Posen und rohe Interviews – stellte einen radikalen Bruch mit den beaufsichtigten Inszenierungen dar, die sowohl in schwulen als auch in Mainstream-Medien vorherrschend waren.
Diese Ästhetik war kein Zufallsprodukt von Amateurismus; sie war eine bewusste Strategie. Rehberg beschreibt sie als Reaktion auf die überkuratierte Darstellung von Männlichkeit, die frühere Jahrzehnte dominierte. Indem er „Fehler“ feierte, erinnerte Butt seine Leser daran, dass Schönheit im Alltäglichen zu finden ist und dass Authentizität mächtiger sein kann als Perfektion.
Rehberg beschreibt diese Ästhetik treffend als Form des Widerstands. Durch die bewusste Abkehr von Mainstream-Normen hinterfragte Butt hegemoniale Narrative darüber, was begehrenswert, männlich oder queer ist. Es erweiterte diese Begriffe und öffnete die Tür für eine Vielfalt an Identitäten innerhalb queerer Räume.
Bewertung der Herangehensweise des Autors
Peter Rehbergs Liebe zum Detail, ein fesselnder Schreibstil und umfangreiche Recherchen machen Hipster Porn zu einem überzeugenden Werk für Akademiker wie auch für Gelegenheitsleser. Seine nuancierte Herangehensweise sorgt dafür, dass das Buch ein breites Publikum anspricht, ohne dabei an Tiefe oder Komplexität zu verlieren. Ob er nun ein einzelnes Foto aus Butt analysiert oder Parallelen zu größeren historischen Entwicklungen zieht, Rehberg gelingt stets ein ausgewogener Mix aus umfassender Analyse und mitreißender Prosa.
Ein möglicher Kritikpunkt ist, dass die theoretische Dichte in einigen Abschnitten überwältigend für Leser sein könnte, die mit den angewandten akademischen Konzepten nicht vertraut sind. Dies mindert jedoch keinesfalls den Wert des Buches, sondern ist lediglich ein Punkt für Leser, die eine weniger komplexe Erzählweise bevorzugen.
Zeitgenössische Relevanz
Hipster Porn ist mehr als nur ein historischer Rückblick – es bleibt auch in der heutigen Diskussion um queere Identität und Repräsentation hochaktuell. Die Konzepte von Männlichkeit sind weiterhin umstritten und im Wandel begriffen, wobei Medien eine zentrale Rolle in diesem Prozess spielen. Das Ethos von Butt – Authentizität, Intimität und Unvollkommenheit – wirkt heute genauso relevant, da es gegen die Perfektion von inszenierten Social-Media-Persönlichkeiten und hyper-kommerzialisierte queere Darstellungen opponiert.
Für Wissenschaftler wirft das Buch zentrale Fragen über die Dokumentation und Erhaltung queerer Geschichte auf. Für Aktivisten gibt es Beispiele dafür, wie Ästhetik als Widerstand eingesetzt werden kann. Und für Gelegenheitsleser zeichnet es ein eindringliches Bild eines kulturellen Moments, der sich heute genauso dringend anfühlt wie einst während der Blütezeit von Butt.
Fazit
Peter Rehbergs Hipster Porn ist ein Meisterwerk – eine tiefgehende, leidenschaftlich geschriebene Untersuchung eines kulturellen Artefakts, das die queere Identität im 21. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat. Durch die Auseinandersetzung mit Butt lädt das Buch uns ein, über Verletzlichkeit, Intimität und die Politik der Repräsentation nachzudenken.
Ob für Akademiker, Künstler oder Leser mit Interesse an queerer Kultur, Hipster Porn bietet eine packende und zum Nachdenken anregende Lektüre, die sowohl zeitgemäß als auch zeitlos ist. Indem er die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft und theoretische Einsichten mit greifbaren Fallstudien untermauert, hat Rehberg ein Werk geschaffen, das gleichermaßen fesselnd und erhellend ist.