Die Ankündigung eines neuen Mafia-Films mit Robert De Niro ist an sich schon ein Ereignis. Wenn dieser Film dann aber von Barry Levinson inszeniert wird und De Niro nicht nur eine, sondern gleich zwei Hauptrollen übernimmt, spitzt die Filmwelt die Ohren. Das Projekt, das ursprünglich unter dem Titel „Wise Guys“ bekannt war und nun als „The Alto Knights“ in die Kinos kommen soll, verspricht eine Rückkehr zu den Wurzeln des Genres, das De Niro zur Legende gemacht hat.
Doch in einer Zeit, in der das Mafia-Genre oft als auserzählt gilt und De Niro selbst mit digitalen Verjüngungstechniken in „The Irishman“ die Grenzen des Darstellbaren auslotete, stellt sich eine kritische Frage: Ist dies eine brillante Wiederbelebung oder nur ein nostalgischer Abgesang? Ich bin der Meinung, dass „The Alto Knights“ das Potenzial hat, weit mehr als nur ein weiterer Gangsterfilm zu sein. Es könnte ein Meisterstück werden, das die Essenz des Genres neu definiert, indem es seinen größten Star in einer beispiellosen schauspielerischen Herausforderung gegen sich selbst antreten lässt.
Die Wiedergeburt eines totgesagten Projekts
Die Entstehungsgeschichte von „The Alto Knights“ ist fast so dramatisch wie die Handlung, die der Film erzählt. Das Drehbuch von Nicholas Pileggi, dem Autor hinter dem Klassiker „GoodFellas“, lag jahrzehntelang in den Schubladen Hollywoods. Es galt als eines jener legendären, aber unverfilmbaren Projekte. Die Idee, die wahre Geschichte der rivalisierenden Mafiabosse Vito Genovese und Frank Costello zu erzählen, war faszinierend, aber die Umsetzung schien immer wieder an unüberwindbaren Hürden zu scheitern.
Im Jahr 2022 sorgte Warner Bros. für eine Sensation, als das Studio das Projekt wiederbelebte und eine kreative Traumkombination präsentierte: Regisseur Barry Levinson und Hauptdarsteller Robert De Niro. Diese Ankündigung war mehr als nur eine Casting-Nachricht; sie war ein Statement. Sie signalisierte das Vertrauen in ein klassisches, charaktergetriebenes Erzählkino, das in der heutigen von Superhelden dominierten Landschaft selten geworden ist.
Der ursprüngliche Titel „Wise Guys“ war eine direkte Verbeugung vor dem Genre. Er weckte sofort Assoziationen zu Filmen wie „GoodFellas“ (dessen literarische Vorlage „Wiseguy“ heißt) und der gesamten Ikonografie des organisierten Verbrechens. Die spätere Umbenennung in „The Alto Knights“ mag auf den ersten Blick wie eine marketinggetriebene Entscheidung wirken, doch sie könnte auch auf eine tiefere thematische Ebene hindeuten. Der Name bezieht sich auf den Alto Knights Social Club in Manhattans Little Italy, einen realen Treffpunkt der Genovese-Familie. Diese Namensänderung verlagert den Fokus möglicherweise von der generischen Genrebezeichnung hin zu einem spezifischen Ort und einer spezifischen Ära, was auf einen detailgetreueren, fast schon dokumentarischen Ansatz schließen lässt.
Warum jetzt? Der kulturelle Kontext
Die Wiederbelebung dieses Mafia-Film-Projekts kommt zu einem interessanten Zeitpunkt. Nach dem epischen Abschluss von Martin Scorseses Mafia-Saga mit „The Irishman“ schien das Genre an einem Endpunkt angelangt zu sein. Was konnte man nach diesem melancholischen und tiefgründigen Blick auf das Altern und die Konsequenzen eines kriminellen Lebens noch erzählen?
Die Antwort von „The Alto Knights“ scheint zu lauten: Alles. Indem der Film in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückkehrt, in die Blütezeit der amerikanischen Mafia, entzieht er sich bewusst dem revisionistischen Ton späterer Werke. Er will nicht das Ende der Ära zeigen, sondern deren pulsierendes, gefährliches Herz. Es ist eine Rückbesinnung auf die Machtkämpfe, die Intrigen und die komplexen Beziehungen, die das Genre so fesselnd machten. In einer Zeit, in der viele Zuschauer sich nach erwachsenen, anspruchsvollen Dramen sehnen, könnte „The Alto Knights“ genau die richtige Antwort sein – ein Film, der auf die Intelligenz seines Publikums vertraut und auf die Kraft einer gut erzählten Geschichte setzt.
Die doppelte Herausforderung: Robert De Niro als Vito Genovese und Frank Costello
Das Herzstück und die größte Faszination von „The Alto Knights“ ist zweifellos die Entscheidung, Robert De Niro in einer Doppelrolle zu besetzen. Er spielt sowohl den aufstrebenden, rücksichtslosen Vito Genovese als auch den etablierten, diplomatischen Frank Costello – zwei Männer, die erst Partner und dann erbitterte Feinde waren. Diese Besetzung ist kein bloßer Gimmick; sie ist ein genialer Schachzug, der dem Film eine tiefere psychologische und thematische Ebene verleiht.
Die Darstellung zweier verfeindeter Charaktere durch denselben Schauspieler zwingt das Publikum, über die Natur von Identität, Ehrgeiz und Verrat nachzudenken. Genovese und Costello waren zwei Seiten derselben Medaille – beide strebten nach Macht im selben kriminellen System, aber mit völlig unterschiedlichen Methoden. Indem De Niro beide verkörpert, werden ihre Gemeinsamkeiten und Gegensätze auf eine Weise sichtbar, die mit zwei verschiedenen Schauspielern niemals möglich wäre. Der Konflikt zwischen Genovese und Costello wird zu einem inneren Konflikt, zu einem Spiegelbild der widersprüchlichen Impulse, die in jedem Machtmenschen schlummern.
Die schauspielerische Tour de Force
Für Robert De Niro ist diese Doppelrolle die ultimative schauspielerische Herausforderung und eine logische Weiterentwicklung seiner Karriere. Er muss zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten erschaffen, die dennoch glaubwürdig aus derselben Welt stammen.
- Vito Genovese: Der brutale, ungeduldige und machthungrige Aufsteiger. Genovese war bekannt für seine Skrupellosigkeit und seinen unbedingten Willen zur Macht. De Niro kann hier auf die rohe Intensität seiner frühen Rollen wie Travis Bickle oder den jungen Vito Corleone zurückgreifen. Wir können einen Charakter erwarten, der von Neid und Ehrgeiz zerfressen ist, dessen Gewaltbereitschaft jederzeit spürbar ist.
- Frank Costello: Der „Premierminister der Unterwelt“. Costello war ein Stratege, ein Diplomat, der seine Macht durch politische Verbindungen und kluge Geschäfte absicherte. Er war der öffentliche, fast schon glamouröse Mafiaboss. Hier kann De Niro seine subtilere, nuanciertere Seite zeigen, die er in Filmen wie „The Irishman“ als Frank Sheeran perfektioniert hat. Costello repräsentiert die Intelligenz und die strategische Weitsicht des organisierten Verbrechens.
Die wahre Kunst wird darin liegen, die Szenen zu meistern, in denen beide Charaktere aufeinandertreffen. Dank moderner Technologie ist dies nahtlos möglich, aber die schauspielerische Leistung muss stimmen. De Niro muss nicht nur mit sich selbst interagieren, sondern auch eine glaubwürdige Dynamik aus Misstrauen, Respekt und schließlich purem Hass erschaffen. Der Erfolg des gesamten Films hängt davon ab, ob das Publikum vergisst, dass es denselben Schauspieler in zwei verschiedenen Verkleidungen sieht, und stattdessen in den Konflikt zweier faszinierender Persönlichkeiten eintaucht. Es ist eine Aufgabe, die nur ein Schauspieler von De Niros Kaliber bewältigen kann.
Charakter | Beschreibung | Fokus der Darstellung |
---|---|---|
Vito Genovese | Rücksichtsloser, aufstrebender Mafiaboss, der nach absoluter Macht strebt. | Rohe Gewalt, unkontrollierter Ehrgeiz, Brutalität. |
Frank Costello | Etablierter, strategischer Anführer, der Politik und Verbrechen verbindet. | Intelligenz, Charisma, diplomatische Finesse. |
Die Meisterhand: Barry Levinsons Regie
Ein Projekt dieser Größenordnung benötigt einen Regisseur mit Erfahrung, Fingerspitzengefühl und einem tiefen Verständnis für Charakterstudien. Mit Barry Levinson wurde genau dieser Regisseur gefunden. Die erneute Zusammenarbeit zwischen Levinson und Robert De Niro ist eine der vielversprechendsten Aspekte des Films. Ihre gemeinsame Filmografie, die Meisterwerke wie „Wag the Dog“ und „Sleepers“ umfasst, zeugt von einem tiefen gegenseitigen Verständnis und der Fähigkeit, komplexe Geschichten mit emotionaler Wucht zu erzählen.
Levinson ist kein typischer Genre-Regisseur. Seine Stärke liegt nicht in stilisierten Actionszenen, sondern in der präzisen Beobachtung menschlichen Verhaltens. Er ist ein Meister des Dialogs und der Atmosphäre. Filme wie „Rain Man“ oder „Diner“ zeigen seine Fähigkeit, Beziehungen zwischen Männern mit einer Mischung aus Humor, Spannung und Melancholie zu sezieren. Genau diese Fähigkeit ist für „The Alto Knights“ von entscheidender Bedeutung. Der Konflikt zwischen Genovese und Costello ist kein simples Gut-gegen-Böse-Schema, sondern ein komplexes Drama über Freundschaft, Loyalität und Verrat.
Man kann erwarten, dass Levinson den Mafia-Film nicht als reines Action-Spektakel inszeniert, sondern als ein Kammerspiel epischen Ausmaßes. Der Fokus wird auf den Gesichtern der Charaktere liegen, auf den unausgesprochenen Drohungen in einem stillen Raum, auf der Spannung, die einem Händedruck innewohnt. Levinson wird die prunkvolle und gleichzeitig bedrohliche Welt der 1950er-Jahre zum Leben erwecken, aber der wahre Schauplatz wird die Psyche seiner Hauptfiguren sein.
Seine Zusammenarbeit mit De Niro in „The Wizard of Lies“, wo De Niro den Finanzbetrüger Bernie Madoff spielte, hat bereits gezeigt, wie gut Levinson den Schauspieler dabei unterstützen kann, komplexe und unsympathische Charaktere menschlich und verständlich zu machen. Für die Doppelrolle als Vito Genovese und Frank Costello ist dieses Vertrauensverhältnis unerlässlich. Levinson ist der ideale Regisseur, um De Niro den Raum zu geben, den er für diese monumentale Aufgabe braucht, und gleichzeitig die Geschichte straff und fokussiert zu halten.
Mehr als nur ein Mafia-Film: Die Bedeutung für das Genre und die Filmindustrie
„The Alto Knights“ steht an einem Scheideweg für das Mafia-Genre. Seit Jahrzehnten wird das Genre von den überragenden Meisterwerken Martin Scorseses, Francis Ford Coppolas und Sergio Leones dominiert. Jeder neue Mafia-Film muss sich unweigerlich an „Der Pate“, „GoodFellas“ oder „Casino“ messen lassen. Viele haben versucht, diese Formel zu kopieren, und sind gescheitert. Andere haben versucht, sie zu dekonstruieren, wie „The Sopranos“ im Fernsehen oder „The Irishman“ im Kino.
„The Alto Knights“ wählt einen anderen, mutigeren Weg. Er versucht nicht, das Rad neu zu erfinden, sondern es mit der bestmöglichen Handwerkskunst und einem einzigartigen erzählerischen Kniff – der Doppelrolle – zu perfektionieren. Der Film ist eine Hommage an die goldene Ära des Gangsterfilms, aber er ist keine bloße Kopie. Er stellt die Kernfrage des Genres in den Mittelpunkt: Was treibt Menschen an, nach Macht zu streben, selbst wenn es sie alles kostet?
Indem der Film die Geschichte von Vito Genovese und Frank Costello erzählt, greift er auf reale historische Ereignisse zurück, die bisher im Kino nur am Rande behandelt wurden. Dies verleiht dem Projekt eine Authentizität und einen Neuheitswert, der es von fiktiven Mafia-Geschichten abhebt. Der gescheiterte Mordversuch von Genovese an Costello im Jahr 1957 war ein Wendepunkt in der Geschichte der amerikanischen Mafia und bietet eine dramatische Vorlage, die keiner fiktiven Überhöhung bedarf.
Ein Signal für das Kino der Erwachsenen
In einer Kinolandschaft, die von Fortsetzungen, Remakes und Comicverfilmungen geprägt ist, ist ein Film wie „The Alto Knights“ ein wichtiges Signal. Es ist ein Film, der auf die Starpower seines Hauptdarstellers, die Vision seines Regisseurs und die Qualität seines Drehbuchs vertraut. Warner Bros. geht hier ein kalkuliertes Risiko ein, indem das Studio in ein Genre investiert, das als kommerziell schwierig gilt.
Der Erfolg oder Misserfolg von „The Alto Knights“ wird weitreichende Folgen haben. Ein kommerzieller und kritischer Erfolg könnte andere Studios ermutigen, wieder mehr in anspruchsvolle, charaktergetriebene Dramen für ein erwachsenes Publikum zu investieren. Er könnte beweisen, dass es neben dem Spektakelkino immer noch einen großen Markt für Geschichten gibt, die auf schauspielerischer Brillanz und erzählerischer Tiefe basieren. Der Film ist somit nicht nur ein potenzielles Meisterwerk für Robert De Niro und Barry Levinson, sondern auch ein Hoffnungsträger für eine bestimmte Art von Kino, die vom Aussterben bedroht schien.
Fazit: Ein zukünftiger Klassiker oder ein ehrenwerter Fehlschlag?
Alle Zeichen deuten darauf hin, dass „The Alto Knights“ das Potenzial hat, ein moderner Klassiker des Mafia-Genres zu werden. Die Kombination aus einem legendären Schauspieler in seiner vielleicht anspruchsvollsten Rolle, einem Meisterregisseur mit einem Gespür für Charaktere, einem historischen Stoff voller Dramatik und einem Drehbuch vom Autor von „GoodFellas“ ist schlichtweg zu vielversprechend, um sie zu ignorieren.
Die größte Gefahr besteht darin, dass der Film unter der Last seiner eigenen Ambitionen zusammenbricht. Die Doppelrolle könnte sich als störender Trick erweisen, die Geschichte könnte im Vergleich zu den Genre-Meisterwerken blass wirken, oder der nostalgische Ansatz könnte als uninspiriert empfunden werden.
Doch ich bin optimistisch. Ich glaube, dass die Entscheidung für die Doppelrolle eine brillante Idee ist, die dem bekannten Genre eine frische, psychologisch tiefgründige Perspektive verleihen wird. Die Interaktion zwischen De Niros Vito Genovese und De Niros Frank Costello wird das Herz des Films sein und uns zwingen, über die Dualität der menschlichen Natur nachzudenken – den ständigen Kampf zwischen brutaler Gewalt und kalkulierter Intelligenz.
Robert De Niro hat mit dieser Rolle die Chance, seinem unvergleichlichen Erbe im Mafia-Film eine letzte, triumphale Krone aufzusetzen. Barry Levinson hat die Möglichkeit, zu beweisen, dass klassisches Erzählkino auch im 21. Jahrhundert noch relevant und aufregend sein kann. Meine Vorhersage ist, dass „The Alto Knights“ mehr sein wird als nur ein guter Gangsterfilm. Es wird ein Ereignis sein – ein fesselndes, intelligentes und unvergessliches Stück Kino, das uns noch lange beschäftigen wird. Es ist der Mafia-Film, von dem wir nicht wussten, dass wir ihn brauchen, aber auf den wir alle gewartet haben.