Einleitung: Eine Stadt im Dunkeln – Berliner Stromkrise als Weckruf
Als am frühen Morgen des 9. Septembers 2025 in Teilen Berlins die Lichter ausgingen, war dies nicht einfach nur ein technischer Defekt. Ein mutmaßlich politisch motivierter Brandanschlag auf zwei Hochspannungsmasten in Johannisthal stürzte den Südosten der Hauptstadt in einen beispiellosen Stromausfall, der sich über Tage hinzog. Was zunächst wie ein lokal begrenztes Problem erschien, entpuppte sich schnell als eine der gravierendsten Attacken auf kritische Infrastruktur der letzten Jahre. Über 45.000 Haushalte und Unternehmen saßen im Dunkeln – und mit ihnen Teile des öffentlichen Lebens. Dieser Vorfall zeigt schonungslos auf, wie verwundbar unsere moderne Gesellschaft trotz aller technologischen Fortschritte bleibt. Als Experte für IT-Sicherheit und kritische Infrastrukturen sehe ich in diesem Ereignis nicht nur eine einzelne Straftat, sondern ein alarmierendes Signal für die gesamte Republik.
Was geschah in der Nacht? Die Chronologie des Stromausfalls
Gegen 3:30 Uhr in der Nacht zum 9. September meldete ein aufmerksamer Anwohner einen Brand an zwei Strommasten im Königsheideweg in Berlin-Johannisthal. Die herbeigerufene Feuerwehr benötigte eine ganze Stunde, um die Flammen unter Kontrolle zu bringen – doch da war bereits erheblicher Schaden entstanden. Mehrere dicke Starkstromleitungen waren durch das Feuer beschädigt oder komplett zerstört. Die Täter hatten offenbar einen Brandbeschleuniger wie Benzin verwendet, um das Feuer gezielt zu entfachen .
Die Auswirkungen ließen nicht lange auf sich warten: Innerhalb kürzester Zeit fiel die Stromversorgung in weiten Teilen des Berliner Südostens aus. Betroffen waren die Ortsteile Niederschöneweide, Köpenick, Grünau, Johannisthal, Adlershof, Bohnsdorf und Altglienicke . Insgesamt waren nach Angaben des Netzbetreibers Stromnetz Berlin rund 44.000 Haushalte und Gewerbebetriebe ohne Elektrizität .
Tabelle: Betroffene Bereiche und Einrichtungen
Bereich | Auswirkungen | Besondere Vorkommnisse |
---|---|---|
Haushalte | 44.000 ohne Strom | Keine Heizung, Licht oder Kühlung |
Pflegeheime | 7 Einrichtungen betroffen | Beatmungsgeräte ausgefallen, Verlegung von Patienten notwendig |
Schulen | 16 Einrichtungen | Unterrichtsausfall am Mittwoch |
Verkehr | Ampeln, Straßenbeleuchtung | Erhebliches Verkehrschaos |
Notruf | 110 und 112 teilweise ausgefallen | Eingeschränkte Erreichbarkeit von Polizei und Feuerwehr |

Wer ist betroffen? Die menschliche Dimension der Krise
Hinter den nackten Zahlen verbergen sich menschliche Schicksale und existenzielle Nöte. In zwei Pflegeheimen in der Semmelweißstraße fielen Beatmungsgeräte aus, was zur umgehenden Verlegung der Patienten in Krankenhäuser führte . Bewohner berichteten von ausgefallenen Heizungen und Kühlschränken, die langsam auftauten. Die Unsicherheit war groß, besonders bei älteren Menschen, die auf elektrische Medizingeräte angewiesen sind.
Am Mittwochmorgen mussten zahlreiche Schulen in Treptow-Köpenick geschlossen bleiben, darunter das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium und das Anne-Frank-Gymnasium . Für viele Eltern bedeutete dies eine spontane Betreuungskrise. Das Bürgeramt in Adlershof musste ebenfalls schließen , was Behördengänge und administrative Prozesse behinderte.
Doch die vielleicht gravierendste Auswirkung betraf die Sicherheit der Bevölkerung: Sowohl der Polizeinotruf 110 als auch der Feuerwehrnotruf 112 waren in bestimmten Bereichen nicht erreichbar – sowohl über Festnetz als auch Mobilfunk . Diese lebenswichtige Infrastruktur war komplett lahmgelegt und erforderte kreative Lösungen.
Die Täter und ihre Motive: Politisch motivierte Brandstiftung?
Am Nachmittag des 9. Septembers tauchte auf einer linksextremistischen Plattform ein mutmaßliches Bekennerschreiben auf, das die Polizei derzeit auf seine Authentizität prüft . Darin bezeichnen sich die Urheber als „einige Anarchist:innen“ und geben an, der Anschlag habe sich gegen den „militärisch-industriellen Komplex im Technologiepark Adlershof“ gerichtet .
Laut dem Schreiben wollten die Täter „sensible Supermaschinen und Ablaufprozesse massiv beeinträchtigen“ . Adlershof beherbergt tatsächlich zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus den Bereichen IT, Robotik, Bio- & Nanotech, Raumfahrt, KI, Sicherheits- und Rüstungsindustrie . Die Autoren des Schreibens entschuldigten sich sogar bei den betroffenen Anwohnern – bezeichneten die Kollateralschäden jedoch als „vertretbar .
ARD-Terrorismusexperte Andreas Götschenberg hält das Schreiben für authentisch und verortet es in der linksextremen Szene . Gleichzeitig warnt er davor, andere Szenarien vorschnell auszuschließen: „Man muss auch mit ins Kalkül ziehen, dass es sich um eine von Russland gesteuerte Sabotage handeln könnte . Diese Einschätzung unterstreicht die Komplexität der Bedrohungslage für unsere kritische Infrastruktur.
Die Reaktionen: Politik und Wirtschaft verurteilen den Anschlag
Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verurteilte den Brandanschlag auf das Stromnetz scharf: Es handele sich um einen „gefährlichen Anschlag, der sich unmittelbar gegen die Berlinerinnen und Berliner richtet . Mit dem Angriff auf die Strominfrastruktur seien „bewusst Menschenleben und die Sicherheit der Stadt gefährdet worden“ .
Auch Innensenatorin Iris Spranger (SPD) verurteilte die Tat „aufs Schärfste“ und bezeichnete sie als „respektlos gegenüber Menschenleben“ . Sie verwies auf die besondere Gefährdungslage für Pflegebedürftige, die auf Sauerstoffversorgung angewiesen sind.
Die Betreibergesellschaft des Technologieparks Adlershof, die Wista Management GmbH, verurteilte den Anschlag ebenfalls. Geschäftsführer Roland Sillmann betonte: „Anschläge wie diese richten sich nicht nur gegen die Infrastruktur, sondern auch gegen Menschen, denn sie gefährden Menschenleben“ .
Kritische Infrastruktur: Unsichtbare Verwundbarkeit
Der Stromausfall im Berliner Südosten offenbart in dramatischer Weise, wie abhängig unsere moderne Gesellschaft von einer funktionierenden Stromversorgung ist. Es sind nicht nur die offensichtlichen Auswirkungen wie ausgefallene Lichter und Haushaltsgeräte. Die eigentliche Bedrohung liegt in den kaskadenartigen Folgefefekten:
- Kommunikation: Mobilfunknetze und Internetverbindungen fallen aus oder sind überlastet
- Gesundheitsversorgung: Medizinische Geräte funktionieren nicht, Krankenhäuser müssen auf Notstrom zurückgreifen
- Transport: Ampeln fallen aus, öffentliche Verkehrsmittel stehen still
- Sicherheit: Notrufnummern sind nicht erreichbar, Alarmanlagen funktionieren nicht
- Wasserversorgung: Pumpstationen benötigen Electricity, was langfristig die Trinkwasserversorgung gefährden kann
Die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) äußerte sich besorgt: Sollte sich eine extremistisch Motivation bestätigen, bedeute dies „eine neue Bedrohungslage für unsere Gesellschaft und für unsere Wirtschaft“ .
Lessons Learned: Was können wir aus der Krise lernen?
Als Sicherheitsexperte sehe ich in diesem Vorfall mehrere kritische Lehren für die Zukunft:
1. Redundanzsysteme ausbauen
Die Tatsache, dass ein Angriff auf zwei Strommasten solche Auswirkungen haben konnte, deutet auf unzureichende Redundanzen im Netz hin. Zwar gelang es dem Netzbetreiber, etwa die Hälfte der betroffenen Kunden durch Umschaltungen auf alternative Leitungen relativ schnell wieder zu versorgen . Für die andere Hälfte waren jedoch aufwändige Tiefbauarbeiten notwendig . Kritische Infrastrukturen müssen mehrfach redundant ausgelegt sein, um auch bei Ausfall mehrerer Komponenten funktionsfähig zu bleiben.
2. Notfallkommunikation resilient gestalten
Der Ausfall der Notrufnummern 110 und 112 war besonders kritisch. Zwar richteten Polizei und Feuerwehr mobile Anlaufstellen und Notrufannahmestellen ein , doch viele Bürger wussten nicht davon. Wir benötigen diversifizierte Alarmierungssysteme, die auch bei Stromausfall funktionieren.
3. Katastrophenschutz modernisieren
Die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierte den Zustand des Katastrophenschutzes. Das „Notfalltelefonbuch“ DiDaKat (Digitale Daten im Katastrophenschutz) mit allen relevanten Kontakten aller betroffenen Stellen und Einrichtungen sei ausgefallen . Digitale Systeme müssen auch bei Stromausfall resilient funktionieren.
4. Öffentliche Sensibilisierung vorantreiben
Viele Bürger waren auf einen längerfristigen Stromausfall nicht vorbereitet. Wir benötigen breit angelegte Aufklärungskampagnen über grundlegende Vorsorgemaßnahmen (Notvorräte, alternative Kommunikationsmöglichkeiten, etc.).

Die Reparaturarbeiten: Eine Herkulesaufgabe für Stromnetz Berlin
Die Wiederherstellung der Stromversorgung gestaltete sich als außerordentlich komplex. Erik Landeck, Geschäftsführer der Stromnetz Berlin GmbH, erklärte, dass die Reparaturen voraussichtlich bis Donnerstagabend andauern würden . Das Ausmaß der Schäden erforderte aufwändige Tiefbauarbeiten: Die Straße am betroffenen Strommast musste aufgegraben und auf einer längeren Strecke Stromkabel freigelegt werden .
In der Nacht zum Mittwoch arbeiteten Teams rund um die Uhr daran, die notwendigen Baugruben herzustellen . Am Mittwoch sollten dann die eigentlichen Kabelarbeiten beginnen . Landeck appellierte an die bereits wieder versorgten Kunden, sparsam mit Strom umzugehen, bis das Netz wieder vollständig hochgefahren werden könne .
Tabelle: Zeitplan für die Wiederherstellung der Stromversorgung
Zeitpunkt | Maßnahme | Betroffene Kunden |
---|---|---|
Dienstagmorgen | Erste Umschaltungen | 14.000 Kunden wieder versorgt |
Dienstag 16:30 Uhr | Weitere Umschaltungen | 3.000 zusätzliche Kunden versorgt |
Dienstagabend | Zwischenlösung | 2.000 weitere Kunden versorgt |
Mittwoch | Beginn der Kabelarbeiten | Verbleibende 25.000 Kunden ohne Strom |
Donnerstag (vorauss.) | Vollständige Wiederherstellung | Alle Kunden voraussichtlich versorgt |
Empfehlungen für Bürger: Was tun beim Stromausfall?
Aus dieser Krise lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen für Bürger ableiten:
- Notvorrat anlegen: Ausreichend Wasser, Lebensmittel für mehrere Tage, batteriebetriebenes Radio und Taschenlampen bereithalten
- Notruf-Alternativen kennen: Bei ausgefallenem Notruf direkten Weg zur nächsten Polizeiwache oder Feuerwache nehmen
- Nachbarschaftshilfe organisieren: Besonders auf ältere oder hilfsbedürftige Menschen achten
- Volle Akkus powerbank haben: Mobile Geräte als Ersatz-Kommunikationsmittel bereithalten
- Informationen einholen: Über Radio oder autoritative Quellen im Internet (z.B. Soziale Medien der Behörden) auf dem Laufenden bleiben
Die Berliner Feuerwehr richtete 15 Notruf-Anlaufstellen ein , zusätzlich standen der Bevölkerung vier Katastrophenschutz-Leuchttürme zur Verfügung, die WLAN und Stromaggregate zum Aufladen von Handys bereitstellten .
Zusammenfassung und Ausblick: Eine neue Ära der Bedrohung?
Der Stromausfall in Berlin markiert möglicherweise eine Zäsur in der Bedrohungslage für kritische Infrastrukturen in Deutschland. Sollte sich der Verdacht der politisch motivierten Brandstiftung bestätigen, wäre dies einer der schwersten Angriffe dieser Art in der jüngeren Geschichte.
Die Ereignisse zeigen, dass wir unsere kritische Infrastruktur besser schützen müssen – nicht nur gegen physikalische Angriffe, sondern auch gegen cyber-physische Attacken. Der Tesla-Brandanschlag in Grünheide Anfang 2024 und nun dieser Vorfall deuten auf eine neue Qualität der Bedrohung hin.
Gleichzeitig müssen wir die Resilienz unserer Systeme erhöhen. Dazu gehören redundant ausgelegte Netze, dezentrale Energieerzeugungskapazitäten und besser vorbereitete Sicherheitsbehörden. Berlin kommt dabei eine Pilotfunktion zu: Was in der Hauptstadt passiert, könnte bald auch anderswo geschehen.
Innensenatorin Iris Spranger brachte es auf den Punkt: „Zur Wahrheit gehört auch, hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben“ . Umso wichtiger ist es, dass wir aus diesen Vorfällen lernen und unsere Preparedness kontinuierlich verbessern. Die Lichter in Berlin werden wieder angehen – aber die Erinnerung an diesen Vorfall sollte uns wachsam bleiben lassen.